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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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Erinnerungen nur in schwarz-weiß. Erst als man ihn mit etwa sechzehn auf die »Farm« geschickt hatte, waren Farben in sein Leben getreten. Wie bei einem Film, den er einmal im Fernsehen gesehen hatte. Der erste Teil war in schwarz-weiß, und dann explodierte plötzlich alles in Farben. Ganz so fühlte sich Charlie.
    Alles Positive, das ihm je widerfahren war, hatte seinen Ausgangspunkt auf der Farm genommen. Dort hatte man ihm beigebracht, das Beste aus seinem Leben zu machen – was sich am Ende als mehr herausgestellt hatte, als er je zu träumen gewagt hätte. Und jetzt saß er hier, in seiner eigenen Wohnung, mit allem, was er brauchte, und genug Geld, um so viel Spaß zu haben, wie er vertragen konnte. Nicht schlecht für einen Burschen von… wie alt war er jetzt? Dreißig? Einunddreißig? Zweiunddreißig? Er hatte sein genaues Geburtsdatum nie gekannt. Nicht dass es einen Unterschied machte. Seine Geburt lag – wie seine Kindheit – in der Vergangenheit, und dort blieb sie auch besser. Je mehr er von der Vergangenheit vergessen konnte, so sagte er sich, umso besser.
    Die Sonne war gesunken. Plötzlich war es dunkel geworden. Charlie warf einen Blick auf die Uhr, erhob sich und ging hinein, um noch zu duschen, bevor Carol eintraf.

    Am nächsten Morgen klingelte früh das Telefon. Charlie streckte eine mit Schaum bedeckte Hand aus der Badewanne und hob den Hörer ab. Er erkannte die Stimme sofort. Es war Control.
    »Hi, Charlie. Zeit für ein Schwätzchen?«
    »Klar.«
    »Wie wär’s gegen drei?«
    Es war ein Code, der nichts mit einer Zeitangabe zu tun hatte. Die Zahl drei bezog sich auf einen vorher festgelegten toten Briefkasten – in diesem Fall auf ein Schließfach in der Greyhound-Station.
    Charlie hielt sich an die Geschwindigkeitsbeschränkungen auf der Autobahn. Die Bullen taten nichts lieber, als einen gut aussehenden jungen Burschen in einem teuren Wagen wie seinem Porsche anzuhalten, und auf den Ärger konnte er gut verzichten, Natürlich würde er in einem Notfall oder wenn es sein Auftrag erforderte, keine Rücksicht nehmen. Er würde die Polizei falls nötig schon abhängen können, auch dazu war er ausgebildet worden. Bisher jedoch war dieser Fall nicht eingetreten.
    Etwas mehr als eine halbe Stunde nachdem Charlie aus dem Bad gestiegen war, öffnete er das Schließfach in der Greyhound-Station und entnahm ihm den weißen Standardbrief, den er wie erwartet dort vorfand. Manchmal enthielt er Instruktionen, die sehr detailliert sein konnten oder nur aus ein paar Worten bestanden. Manchmal, wie in diesem Fall, enthielt er nur ein Flugticket: nach Boston, Logan Airport, Hin- und Rückflug. Damit stand fest, was er an diesem Abend tun würde.
    Nur wenige Augenblicke bevor das Flugzeug abhob, ließ sich jemand auf den freien Sitz in der ersten Klasse neben Charlie nieder. Charlie drehte sich um und erblickte das vertraute aristokratische Profil von Control – stahlgraues Haar, tadelloser Anzug, neugierige, blasse blaue Augen und ein schmales, ironisches Lächeln.
    »Wie geht’s Ihnen, Charlie?«
    »Ging mir nie besser, Sir.«
    Sie unterhielten sich für eine Weile über belangloses Zeug. Dann, bei Mineralwasser und Salat, skizzierte Control ihm den nächsten Auftrag.
5
    Sie überbrachten Christopher die schlechte Nachricht gemeinsam. Susan wusste nicht, ob ihr Vater in seinem Leben oft schlechte Nachrichten hatte überbringen müssen, nahm es aber an. Wie auch immer, ohne ihn hätte sie es nie geschafft. Irgendwie gelang es ihnen, dem Kind die Wahrheit beizubringen – dass Daddy nicht mehr zurückkommen würde. Nie wieder.
    Während all der folgenden schrecklichen Tage musste Susan ihren Vater nie um etwas bitten. Er ahnte all ihre Wünsche und fast alle Wünsche Christophers voraus. Und er kümmerte sich um die formellen Angelegenheiten – um Anwälte, Versicherungen und vor allem um die Vorbereitungen für die Beerdigung. Johns Leichnam wurde mit denen der anderen Opfer nach Hause geflogen und zu einem lokalen Bestattungsunternehmen gebracht. Dort befreite man ihn aus dem versiegelten Plastiksack, in dem er transportiert worden war, und bereitete ihn für die Aufbahrung vor, sodass seine Verwandten und Freunde ihn noch einmal sehen konnten. Susan ging zusammen mit ihrem Vater hin, und sie musste sich schwer auf seinen Arm stützen. Man hatte ihr bereits mitgeteilt, dass Johns Gesicht unversehrt geblieben war. Er hatte eine tiefe Wunde hinten am Schädel davongetragen sowie schwere

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