Epsilon
bewegungsfähig waren – sie gehorchten ihm bloß nicht. Charlie begann sich hin und her zu winden, und erst da bemerkte er, dass er in seinen Bewegungen behindert war, weil sein Oberkörper fest eingewickelt war.
Warum hatten sie das getan? Niemand hatte ihn darüber informiert, dass das nötig sein würde. Nur ein kleiner Einschnitt, hatten sie gesagt. Ziemlich tief, aber es würde nur eine winzige Narbe zurückbleiben. Keine Rede davon, dass man ihn wie eine Mumie bandagieren würde.
Charlie musste sich gewaltig anstrengen, um sich aufzusetzen. Es war ein schweres Stück Arbeit, wenn man die Arme nicht benutzen konnte, obwohl seine Bauchmuskeln durchtrainiert und stahlhart waren. Zumindest waren sie das gewesen. Jetzt fühlten sie sich ein wenig schlaff an. Das war seltsam. Wie konnten sie sich so schnell zurückbilden? Gestern noch war er in Topform gewesen. Er hatte wie gewöhnlich im Fitnessraum trainiert.
Das war doch gestern gewesen, oder? Oder zumindest vorgestern. Vor der Operation.
Wie lange mochte er hier schon so liegen?
Der Schmerz beim Aufrichten war unerträglich, aber Charlie schaffte es durch reine Willensanstrengung. Er musste innehalten, um wieder zu Atem zu kommen, und konnte spüren, wie sein Gesicht vor Anstrengung heiß geworden war.
Das war er gar nicht gewöhnt. So hatte er sich noch nie gefühlt. Was hatten sie mit ihm gemacht?
Links von ihm bewegte sich etwas. Charlie drehte sich um und stellte fest, dass sein Kopf sich nun in Höhe des Spiegels über dem schmalen Waschbecken befand. Er konnte sich darin sehen.
Doch das, was er dort sah, war nicht er selbst. Er starrte auf das Spiegelbild eines fremden Mannes: mittleres Alter, graue Haare, große, schreckgeweitete Augen, schlaffer Mund. Charlie hatte diesen Mann nie zuvor gesehen.
Das war kein Spiegel! Konnte es nicht sein. Es musste sich um eine Art Trick handeln.
Charlie bewegte sich nach rechts. Das Spiegelbild wanderte mit. Charlie bewegte sich nach links. Das Spiegelbild tat es ihm nach.
Wie? Warum?
Charlie blickte an sich hinunter und stellte fest, dass er keineswegs bandagiert war. Er steckte in einer Zwangsjacke, die so weiß war wie der ganze Rest des Zimmers. Seine Arme waren ihm fest vor die Brust gebunden, die Ärmel in seinem Rücken verschnürt.
»Was zum Teufel…?«
Ein Geräusch. Charlie drehte sich um. In der gegenüberliegenden Wand hatte sich eine Tür geöffnet. Er hatte sie bisher nicht bemerkt; es gab keinen Griff an der Innenseite. Aber jetzt – Gott sei Dank – betrat Susan den Raum. Sie trug einen langen weißen Kittel, ihr Gesicht war ernst. Sie sah wie eine Ärztin aus. Was für ein dummer Gedanke! Natürlich war sie Ärztin.
»Hallo, Brian«, sagte sie und blieb dicht vor seinem Bett stehen. »Wie fühlen Sie sich jetzt?«
Es dauerte eine Weile, bis er begriff, was sie gesagt hatte, und bis er eine Antwort formuliert hatte.
»Brian? Hast du mich Brian genannt?«
»Das ist Ihr Name. Sie sind Brian Kay.«
Er starrte sie an, zu keinem Gedanken fähig, so schockiert war er. »Susan, was hast du… was haben sie…?«
Seine Augen kehrten zu dem Spiegel an der Wand zurück, zu dem Spiegelbild jenes unbekannten, verängstigten Mannes. Er konnte Susan neben sich stehen sehen. An ihrem Spiegelbild war nichts falsch. Sie war sie selbst.
»Susan, was ist mit mir geschehen? Warum sehe ich aus wie dieser…?«
Im Spiegel trat ihr Abbild einen Schritt näher an das seine und legte eine Hand auf seine Schulter. Charlie spürte den sanften Druck, beruhigend und freundlich, aber seltsam unpersönlich. In dieser Berührung lag nichts Vertrauliches. Es war nicht Susans Berührung.
»Es ist alles in Ordnung, Brian«, sagte sie. »Versuchen Sie ruhig zu bleiben.«
»Warum nennst du mich so?«
»Hören Sie zu. Sie sind krank gewesen, Brian, aber jetzt geht es Ihnen besser. Der Virus hat allerdings Ihr Gedächtnis angegriffen…«
Er drehte abrupt den Kopf, um zu ihr aufzublicken – zu Susan, nicht zu ihrem Spiegelbild.
»Ich bin Charlie Monk! Ich bin nicht… Ich bin nicht dieser Mann! Warum sehe ich so aus wie…?«
»Das im Spiegel, das sind Sie. Sie sind Brian Kay! Wir haben Ihr Gedächtnis teilweise wiederhergestellt, aber jetzt leiden Sie unter einigen Nebenwirkungen, die wir nicht vorausgesehen haben. Doch keine Angst, mit der Zeit werden wir auch die in den Griff bekommen.«
»Nebenwirkungen? Welche Nebenwirkungen? Ich weiß nicht, wovon du…«
»Bitte, hören Sie mir einfach zu. Versuchen
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