Epsilon
Sie mir zu vertrauen. Als Nebenwirkungen Ihrer Behandlung treten verschiedene Fantasien auf, die manchmal ausgesprochen komplex sind. In der Realität dauern sie nur den Bruchteil einer Sekunde, aber Ihnen erscheinen sie viel länger, Stunden, Tage, sogar Monate lang. Sie haben gerade eine solche Fantasie durchlebt, eine ausgesprochen unangenehme, um genau zu sein. Deshalb hat man Sie festbinden müssen. Aber jetzt geht es Ihnen wieder gut, und Sie sind dort, wo Sie hingehören. Die Erinnerung an Ihren Traum wird in ein paar Minuten verschwinden, auch wenn Ihnen jetzt noch alles ganz real vorkommt.«
Sie hielt einen Moment inne, dann setzte sie sich zu ihm auf die Bettkante, sodass sie sich auf gleicher Augenhöhe befanden.
»Brian, das Wichtigste bei alledem ist Folgendes: Die Erinnerung, die wir Ihnen zu geben versucht und die wir nun erfolgreich in Ihrem Gehirn verankert haben, hat sich als widerstandsfähig erwiesen. Sie verblasst nicht mit der Zeit, und sie verändert sich auch nicht. Und um Ihnen zu zeigen, dass es die Wahrheit ist, ist Ihre Frau hierher gekommen, um Sie zu besuchen…«
Sie wandte sich zur Tür um. Er folgte ihrem Blick. Eine Frau war eingetreten – mittleren Alters, mit einem ängstlichen, von Kummerfalten durchzogenen Gesicht, das früher einmal recht hübsch gewesen sein musste. Er hatte keine Ahnung, wer diese Frau war und was sie hier wollte.
Dennoch, irgendwie – Was geschah mit ihm? – irgendwie war ihm, als müsse er sie kennen. Wie kam das? Ein Name lag ihm auf der Zunge. Ihr Name. Wie lautete er noch?
Und dann erinnerte er sich. Spontan brach es aus ihm heraus:
»Dorothy!«
»Was hast du gesagt, Liebling?«
Er öffnete die Augen. Sein Atem ging schwer. Er schwitzte. Dann hörte er erneut die Stimme. Wie aus weiter Ferne.
»Liebling? Bist du okay?«
Ein schmaler Lichtstreifen fiel vom Bad, aus dem die Stimme kam, auf den Teppichboden. Der Himmel draußen war fast schwarz. War es früher Morgen oder später Abend? Ein Fenster stand halb offen, ein Vorhang wehte in der leichten Brise.
»Charlie?«
»Mir geht’s gut.«
»Du hast dich seltsam angehört.«
»Ich muss eingeschlafen sein. Wie spät ist es?«
»Fast sieben. Du solltest dich langsam fertig machen. In einer halben Stunde müssen wir aufbrechen.«
Natürlich – sie waren mit den Typen, die sein Leben verfilmen wollten, zum Abendessen verabredet. In diesem neuen, angesagten Restaurant in Tribeca. Er und Susan hielten sich seit einer Woche in New York auf – er konnte jetzt den Verkehrslärm tief unten auf der Straße hören –, um der Presse und den Fernsehstationen Interviews zu geben anlässlich des Buches, das sie zusammen geschrieben hatten. Es war auf Anhieb auf Platz eins der Bestsellerlisten geklettert, und es sah so aus, als würde es sich dort noch eine Weile halten.
Charlie stützte sich auf die Ellbogen auf, genoss das Gefühl der Erleichterung, wieder er selbst zu sein, nun, da der Albtraum vorüber war. Er versuchte, das Gefühl noch ein wenig länger auszukosten, indem er sich ins Gedächtnis rief, wie er und Susan nach einer TV-Show-Aufzeichnung gegen fünf Uhr aufs Zimmer gekommen waren. Sie hatten sich geliebt und waren dann eng umschlungen eingeschlafen. Alles war einfach perfekt gewesen!
An der Wand hing ein großer Spiegel. Er rollte sich zur Seite, um sich darin betrachten zu können. Sein Spiegelbild starrte zurück, beruhigend vertraut in jedem Detail bis hin zu der winzigen Narbe auf seiner Brust, das einzige Zeichen, das noch auf die Operation vor sechs Monaten hindeutete, als man ihm das Implantat entfernt hatte.
Seitdem hatte das Schicksal es gut mit ihm gemeint, besser, als er es sich jemals hätte träumen lassen. Er rief sich den Moment in Erinnerung, als Susan, kurz bevor er das Bewusstsein verlor, ins Hospital gekommen war, um ihm vom Gnadenerlass des Präsidenten zu erzählen.
Aber der schönste Augenblick war der gewesen, als er nach der Operation aufgewacht war und Susan neben seinem Bett hatte sitzen sehen. Sie hielt seine Hand, und sobald er die Augen geöffnet hatte, gestand er ihr seine Liebe. Vielleicht hätte er es nie gewagt, wäre da nicht das unerwartete, angenehme Gefühl gewesen – zweifellos eine Nachwirkung der Narkose –, dass einfach alles möglich war, selbst dass sie die Wahrheit sagte, als sie antwortete, dass auch sie ihn liebe. Dann hatten sie sich zum ersten Mal geküsst, dort im Krankenhauszimmer. Danach hatte sie zum Telefonhörer gegriffen,
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