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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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wiederzusehen, Kathy.«
    Sie blickte auf die Uhr. »Ich muss zurück«, sagte sie, »ich habe noch etwas zu erledigen.«
    »Darf ich dich begleiten?«
    Sie wirkte unsicher.
    »Nur bis zur Straße«, fügte Charlie hinzu. »Das Haus, das ich gemietet habe, steht da drüben.« Er wies mit dem Finger in die ungefähre Richtung.
    »Natürlich«, meinte sie schließlich. »Bis zur Straße. Ich muss dann da lang.« Sie deutete in die entgegengesetzte Richtung.
    Charlie brauchte nicht lange, um die Staffelei zusammenzuklappen und die Farben wegzupacken. Wenig später brachen sie auf. Sie plauderten zwanglos, auch wenn es eigentümlich anstrengend und schwierig war, die Unterhaltung in Gang zu halten. Nach ein paar Minuten hatten sie die Straße erreicht und blieben stehen.
    »Nun«, sagte Charlie und drehte sich zu Kathy um, »morgen werde ich wieder hier sein.«
    Sie lächelte ihn an, und es kam Charlie vor, als läge ein Hauch von Trauer in diesem Lächeln; Trauer, doch auch Erleichterung, als wäre das Schlimmste überstanden, der Schock des Zusammentreffens überwunden, und als zeichne sich nun ein Silberstreif am Horizont ab.
    »Pass auf dich auf, Charlie.«
    Er fragte sich kurz, ob er ihr die Hand schütteln sollte. Doch das war zu förmlich. Und ein Kuss, selbst ein Kuss auf die Wange, war zu intim. Sie waren beide noch nicht so weit. Am Ende sahen sie sich einfach nur ein wenig länger in die Augen, dann trennten sich ihre Wege.
    War es Instinkt, der Charlie veranlasste, sich nach etwa fünfzig Metern umzuschauen? Oder nur der Wunsch, sie noch einmal zu sehen, der Drang, sich zu vergewissern, dass er sich die ganze Episode nicht nur eingebildet hatte?
    Doch nein, sie war noch da, und er sah sie so deutlich wie eben, als sie direkt vor ihm gestanden hatte. Sie entfernte sich mit jedem Schritt von ihm, und ihre Gestalt wurde kleiner und kleiner.
    Er beobachtete, wie sie leicht die Richtung änderte. Sie sah sich nicht um, war sich seines Blickes nicht bewusst.
    Und spazierte geradewegs in das weiße Backsteinhaus, das Charlie überwachen sollte.
23
    Charlie stand vor einem Dilemma. Er musste Meldung machen, aber was sollte er melden? Kathys Ankunft einfach zu verschweigen war zu gefährlich: Es gab zu viele andere Möglichkeiten, wie seine Auftraggeber davon erfahren konnten. Natürlich könnte er einfach melden, dass eine »Frau« angekommen sei, ohne zuzugeben, dass er sie kannte.
    Die Tatsache, dass Control das Haus beobachten ließ, bedeutete, dass dort etwas im Gange war und dass jeder, der in die Sache verwickelt war, sich in Schwierigkeiten befand. Im schlimmsten Fall, so stellte Charlie sich vor, bekam er den Auftrag, jemanden aus dem Haus zu entfuhren oder gar zu töten. Natürlich würde er Kathy kein Leid zufügen, doch seine Möglichkeiten, Kathy zu beschützen, waren begrenzt.
    Am Ende rief er an und berichtete, dass eine Frau eingezogen sei, und gab eine vage Beschreibung von ihr, mehr nicht. Dass er mit ihr gesprochen hatte, verschwieg er wohlweislich. Von der anonymen Stimme am anderen Ende der Leitung, der er stets seinen Bericht abstattete, gab es keine unangenehmen Rückfragen, keine Andeutung, dass Control selbst mit Charlie über diese Sache reden wolle. Charlie legte mit einem Gefühl der Erleichterung auf und freute sich auf den nächsten Morgen.
    In dieser Nacht träumte er von Kathy. Es war ein wirrer, bruchstückhafter Traum. Sie waren wieder auf der Flucht, zwei Kinder, die nur eins wollten: ihrem alten Leben entfliehen. Und sie wollten es gemeinsam tun. Charlie wusste, dass er träumte. Was er fühlte, war intensiv und echt, doch was er sah, lief vor einer surrealen Kulisse ab, die ihm verriet, dass sich alles in seinem Kopf abspielte, nicht draußen in der Realität. Gleichzeitig spürte er Kathys Gegenwart so deutlich, dass er kaum an eine Traumgestalt zu glauben vermochte. Er spürte die Zartheit ihrer Haut, als er ihren Arm streifte, die Süße ihres Atems, als sie sich im Schatten des namenlosen Grauens, vor dem sie davonliefen, aneinander klammerten, die Wärme ihres Körpers, der sich an seinen presste.
    Und dennoch hatte sich eine enorme Kluft zwischen ihnen aufgetan. Zum Teil war es die Kluft, die sich für gewöhnlich in Träumen einstellt, jenes merkwürdige nicht Greifbare: das Buch, aus dem man vorlesen sollte und das sich öffnete, nur um lauter leere Seiten zu zeigen; das große Glas kalten Wassers, das man austrank, ohne dass es den brennenden Durst löschte; die ungestüme

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