Epsilon
Flucht, gefolgt von der Erkenntnis, dass man rannte, ohne von der Stelle zu kommen. Und das Schlimmste von allem: das Gefühl, dass das Objekt der Begierde in unerreichbarer Ferne blieb, wie nah man ihm auch sein mochte.
Doch abgesehen davon, war da noch etwas anderes. Charlie fürchtete, verrückt zu werden, wenn es ihm nicht gelang, das Rätsel zu lösen. Was war es? Was fehlte? Etwas, vor dem er sich versteckte? Etwas, an das er sich nicht erinnern konnte, an das er sich nicht zu erinnern wagte}
Er schreckte schweißgebadet in zerwühlten Laken auf. Der Schlaf war verflogen und ließ sich nicht zurücklocken, also stand Charlie auf und spazierte zum Strand hinunter. Er kam an Kathys Haus vorbei. Es brannte kein Licht. Allerdings war es – er blickte auf die Uhr – drei Uhr morgens.
Eine Zeit lang blieb er so stehen und starrte in die Dunkelheit. Sollte er an ihre Tür klopfen und ihr sagen, dass er wusste, dass etwas nicht stimmte? Sollte er versuchen, sie zu überreden, sich ihm anzuvertrauen? Doch was, wenn sie nicht alleine war? Er hatte zwar niemanden sonst beobachtet, doch das hieß nicht, dass nicht noch andere Leute im Haus sein konnten. Vielleicht würde er nur sich und seine Mission gefährden, wenn er mitten in der Nacht hereinplatzte. Oder er würde Kathy gefährden. Besser, er wartete bis zum nächsten Morgen, wenn sie sich am Strand treffen wollten. Er beschloss, dann offen mit ihr zu reden und sie zu überzeugen, sich ihm anzuvertrauen.
Charlie drehte sich um und begann zu seiner Hütte zurückzumarschieren, doch er wusste, dass er keinen Schlaf mehr finden würde. Statt also die langen Stunden auszuharren, bis er Kathy wiedersehen würde, lief er zum Wasser hinunter, streifte die Kleider ab und tauchte in die laue Brandung.
Als er schließlich nach Hause kam, dämmerte bereits der Morgen, Er rasierte sich, bereitete sich ein Frühstück, packte seine Malutensilien und machte sich erneut auf den Weg zum Strand.
Charlie sah zum zwanzigsten Mal innerhalb einer Stunde auf die Uhr. Jeder, der ihn beobachtete, hätte erkannt, dass er sich Sorgen machte. Es war fast Mittag, und Kathy hatte sich noch immer nicht blicken lassen.
Von dort, wo er mit seiner Staffelei saß, konnte er das Haus mühelos auch ohne Fernglas beobachten. Den ganzen Morgen über hatte sich dort nichts gerührt. Während die Minuten verstrichen, hielt Charlie schließlich nicht einmal mehr den Anschein aufrecht, an seinem Gemälde zu arbeiten. Seine Konzentration war zum Teufel; er spürte es in den Knochen, dass etwas nicht in Ordnung war. Schließlich beschloss er, in das Haus einzudringen und herauszufinden, was dort vor sich ging. Er bedauerte nur, dass er nicht gleich seinem ursprünglichen Instinkt gefolgt war und es schon in der Nacht getan hatte.
Die Rückseite des Hauses war durch Bäume vor den Blicken der Nachbarn abgeschirmt. Charlie schwang sich über den Zaun, schlich an der Rückfront entlang und spähte vorsichtig durch eins der Fenster. Erstaunt stellte er fest, dass er in ein vollkommen leeres Zimmer starrte – eine Küche, um genau zu sein, doch ohne ein einziges Möbelstück, abgesehen von einem Waschbecken und einigen Einbauelementen an den Wänden.
Charlie schlich zu einem anderen Fenster. Es erlaubte ihm den Blick in ein geräumiges Wohnzimmer mit mehreren Fenstern in der gegenüberliegenden Wand, die zum Meer hinausgingen. Doch auch hier gab es keine Möbelstücke, nur einen nackten Parkettboden und einige Drähte, die dort aus den Wänden hingen, wo sich einmal Lampen befunden hatten.
Charlie überkam ein ausgesprochen seltsames Gefühl. Etwas an der ganzen Szenerie war vollkommen irreal. Das war das Haus, in das er Kathy hatte verschwinden sehen. Sie hatte einen Schlüssel aus der Tasche gezogen und die Vordertür geöffnet. Warum also war das Haus verlassen? Offensichtlich musste er eindringen, um es herauszufinden. Vielleicht war nur der erste Stock bewohnt.
Charlie versuchte die Hintertür zu öffnen, doch sie war verschlossen. Was ihn jedoch verwunderte, war die einfache Konstruktion des Schlosses. Charlie schätzte, dass jeder Teenager es innerhalb von weniger als fünf Minuten mit einer Haarnadel hatte knacken können; er selbst brauchte mit geübten Handgriffen nur ein paar Sekunden. Er suchte den Türrahmen nach Metallkontakten ab, deren unterbrochene Schaltkreise irgendwo in einer lokalen Polizeistation oder einem Sicherheitsbüro einen Alarm hätten auslösen können. Es gab keine. Und
Weitere Kostenlose Bücher