ePub: Ashes, Ashes
er ihre Handfläche nach oben. Die Schnittwunde nässte immer noch, ihre Ränder waren entzündet.
»Sieht nicht gut aus«, meinte er. »Irgendwo hier haben wir eine Salbe.« Er legte ihre Hand auf ihrem Knie ab, durchwühlte das Wirrwarr auf dem Tisch und brachte eine flache Dose und ein rechteckiges Stück Verbandsstoff zutage. Er öffnete die Dose. Sie enthielt eine Paste, die wie braune Vaseline aussah und stark nach Oregano roch.
»Gelbwurzel, Sonnenhut und Beinwell«, zählte er auf, als wenn das Lucy irgendetwas gesagt hätte. »Grammalie Rose stellt sie her.«
Er strich ein wenig Salbe auf die Wunde, band das Verbandstuch straff drum herum und fixierte es mit ein paar schmaleren Stoffstreifen. Die Wundränder schmerzten kurz, hörten dann aber auf. Zur Probe ballte Lucy die Faust. Der Schmerz war betäubt.
»Hier.« Leo reichte Lucy einen Latexhandschuh. »Damit die Hand trocken bleibt.«
Lucy hatte eine merkwürdige Hemmung, den Handschuh anzunehmen. So ähnliche verwendeten die Sweeper auch.Dabei fiel ihr eine Frage ein, die sie loswerden wollte. »Schicken sie immer ihre Hunde aus?«
Leo überlegte einen Moment. »In letzter Zeit ...« Er rieb sich nachdenklich das Kinn. »In letzter Zeit sieht es aus, als suchten sie etwas Bestimmtes.«
Lucy konnte den Schauder, der ihr den Rücken hinablief, nicht unterdrücken.
»Wie können Sie so leben – ohne zu wissen, ob sie vielleicht wiederkommen?«
»Wir versuchen uns so gut es geht vorzubereiten. Einer kümmert sich um den anderen.« Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Du lebst allein? Draußen in der Wildnis?«
Sie nickte.
»Ist etwas einfacher, könnte ich mir vorstellen. Aber vielleicht auch einsamer?«
Sie zuckte die Schultern. Plötzlich fühlte sie das Brennen von Tränen. Sie rieb sich heftig die Nase.
»Es ist das Natürlichste überhaupt, dass sich Menschen zusammentun. Alle haben die gleiche Geschichte – jede ist nur ein kleines bisschen anders.« Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah er sie an. »Weißt du, es ist vielleicht das erste Mal überhaupt, dass die Menschen einander verstehen können und Mitleid miteinander haben. Weil jeder jemanden verloren hat.«
Lucy schwieg, auch wenn sie den Impuls hatte, etwas zu sagen. Wenn sie allein war, konnte sie alle ihre Gefühle unterdrücken. Jetzt aber fiel es ihr schwer.
»Sag mal Aaah! «
Sie fragte sich, wie sehr sie aus dem Mund roch.
Er legte das Instrument ab und griff hinter sich. Als er sich wieder umdrehte, hatte er ein Thermometer in der Hand. »Noch mal aufmachen.«
Lucy öffnete den Mund und er legte das Thermometer unter ihre Zunge. Das war unbequem. Lucy verschob es ein wenig. Leo runzelte die Stirn und rückte das Thermometer wieder zurück. »Zwei Minuten stillhalten!« Währenddessen atmete Lucy durch die Nase ein und aus.
»Der Begriff Familie ist ein anderer geworden«, fuhr Leo fort. »Blutsbande sind nicht mehr das Einzige.«
Lucy grunzte und rutschte auf dem Stuhl hin und her. Sie senkte den Kopf, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen.
Nach einer schier endlosen Zeit sagte Leo endlich »Aufmachen« und nahm Lucy das Thermometer aus dem Mund. Er schüttelte es und sah es mit zusammengekniffenen Augen an, um den Wert abzulesen.
»Die Leute haben Angst. Sie befürchten, dass die Krankheit nur eine Pause eingelegt hat, dass sie vielleicht erneut mutiert und wieder ausbricht. Wir müssen dieser Möglichkeit ins Auge sehen«, fuhr er fort und hielt das Thermometer ins Licht. »Normal«, stellte er fest. Er legte es auf den Tisch zurück und sah Lucy an. »Alles in Ordnung.«
Lucy fuhr sich mit ihrer trockenen Zunge über die Lippen. Der Gedanke, dass die Epidemie wieder ausbrechen könnte, war wirklich beängstigend.
»Das hätte ich Ihnen auch sagen können. Ich bin nicht krank.«
»Das kann man nicht immer so leicht beurteilen. Wenn die Blutungen und das Fieber erst einmal losgegangen sind, ist es meistens zu spät. Und die Ansteckung findet in der Regel statt, bevor die Symptome auftreten. Wir kommen hier so gerade eben durch. Wir können dich nicht ins Camp aufnehmen, wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass du eine Ansteckung mitbringen könntest.«
»Das ist alles überflüssig. Aidan ist der erste Mensch seit sechs Monaten, den ich getroffen habe!« Sie sah ihr Gegenüber mit vorgestrecktem Kinn an. Leo blickte amüsiert zurück. »Und ob ich länger als bis morgen früh hierbleibe, weiß ich sowieso noch nicht.«
»Selbst
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