ePub: Ashes, Ashes
verwirrten Gesichtsausdruck.
»Hallo«, sagte sie. Ihre Stimme klang nur ein bisschen brüchig. In ihrer Hosentasche bohrte sie die Fingernägel in ihre Handfläche. Sie spürte, wie sie errötete. Das durfte sie nicht. Es war ja lächerlich! Ganz offenkundig war er mit dieser Del zusammen!
»Lucy! Ich hätte mir denken können, dass du das warst!« Ein Anflug seines schrägen Grinsens erschien auf seinem Gesicht, verschwand aber schnell wieder. Er strich sich mit der Hand durch das feuchte Haar und schob Lucy unter einePlane. Jetzt kamen ein paar Menschen langsam aus ihren Verstecken und stellten sich unter den Schutzplanen zu kleinen Gruppen zusammen. Aus den Augenwinkeln bemerkte Lucy, dass sich rund um den Platz noch viel mehr Leute in den Zelten und Baracken verbargen. Selbst jetzt haben sie noch Angst, sich zu zeigen , dachte sie. Das Murmeln der gedämpften Stimmen wurde lauter. Bunt gestreifte Schirme wurden rund um die Feuerstelle herum geöffnet, um sie vor dem Regen zu schützen. Angesichts der gedrückten Atmosphäre erschienen sie fast zu fröhlich, wie Farbkleckse in einer Szene, die so verblichen wirkte, wie eine alte Postkarte.
Bewegungslos standen Lucy und Aidan da, während der Regen herabrauschte und den Staub von der Straße wusch. Aidans Blick hatte sich wieder verdüstert. Er sagte nichts, sondern rieb sich nur den Knöchel seiner rechten Hand. Lucy sah, dass die Hand geschwollen waren und dass die Haut aufgeplatzt war und blutete. Auf seiner Wange prangte eine feuerrote Strieme von dem Fausthieb, den er abbekommen hatte. Die Brutalität des Angriffs der Sweeper hatte Lucy zutiefst erschüttert. Nachdem nun alles vorüber war, fühlte sie sich schwach und erschöpft. Wenn sie gekonnt hätte, wäre sie am liebsten in ihren Schlafsack gekrochen, hätte sich die Lederjacke über den Kopf gezogen und zwei Wochen lang geschlafen. Der Schmerz darüber, die Sicherheit und den Trost ihres Zuhauses verloren zu haben, schnürte ihr das Herz ab.
Aidan sah an Lucy vorbei und schien jemanden oder etwas zu erblicken. Er ergriff ihren Arm und drehte sie herum, sodass sie den kahlköpfigen Mann auf sie beide zukommensah. Er war sehr groß, dazu kräftig und breit wie eine Ziegelsteinwand.
»Lucy, das ist Leo.«
Leo nickte ernst. Sein Shirt war schweißnass und auf seiner Schädeldecke und über seiner Oberlippe glänzte Feuchtigkeit. Er wischte seine Hand, die groß war wie ein Vorschlaghammer, an seiner Cargo-Hose ab, streckte sie Lucy entgegen und drückte ihre Finger derart fest, dass er ihr fast die Knochen brach. Seine blauen Augen musterten sie dabei mit einer Intensität, die sie nervös machte.
»Leo muss dich nur kurz durchchecken«, sagte Aidan. Er klopfte ihr leicht auf den Rücken und schob sie nach vorn.
»Wie bitte?«
Im selben Moment fasste Leo sie am Unterarm und führte sie zu einem der großen grünen Armeezelte. Sich loszumachen war unmöglich, er hatte einen Griff wie ein Schraubstock. Lucy versuchte, ihr Messer zu zücken, aber sie kam gar nicht dran. Über die Schulter warf sie Aidan einen panischen Blick zu. Er nickte tröstend, aber seine Stirn war gerunzelt und sein Blick voller Sorge.
7. KAPITEL
Im Inneren des Zelts roch es nach Stockflecken. Eine Bank, auf der sich ein Berg Kleidung türmte, stand in der Mitte des vollgepackten Lehmbodens. Dazu ein Tisch, zwei Stühle und zwei Kisten, die mit allerlei Zeug vollgestopft waren. Stoffvorhänge hingen an Ringen von der Decke herab und bildeten eine kleine Kabine. Gleich daneben stand ein großer Eimer mit Wasser. Eine Sturmlampe rauchte sanft vor sich hin und verbreitete einen beißenden Geruch.
Und an der Wand – Lucys Herz begann schneller zu schlagen – stand eine Krankenhausbahre mit Rollen; so eine wie die, auf denen ihre Eltern gestorben waren.
Endlich ließ Leo ihren Arm wieder los. Lucy rieb mit der Hand darüber, betrachtete die Eingangsplane des Zelts und Leos riesige Gestalt, die sich davor abzeichnete. Sie überlegte, ob sie sich durch den schmalen Spalt quetschen konnte, dort, wo das Zelt mit Heringen im Boden befestigt war, und ob Leo wohl so langsam war, wie seine Größe und sein Gewicht vermuten ließen. Aber dann erinnerte sie sich an die Eleganz, mit der er gekämpft hatte, und fügte sich beklommen in den Umstand, dass sie seine Gefangene war.
»Leg deinen Rucksack ab und setz dich«, sagte er und zeigte auf den Stuhl. Seine Stimme klang militärisch, unpersönlich. Man konnte nichts aus ihr
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