ePub: Ashes, Ashes
beiden zu gehen. Sie versuchte, so zu tun, als hätte sie ein Ziel, als wüsste sie, was sie als Nächstes machen wollte. Sie trat einen Stein beiseite. Vor einem Augenblick hatte sie sich noch sauber und frisch gefühlt. Jetzt schwitzte sie. Sie fuhr sich durchs Haar, strich sich die widerspenstigen Locken zurück – ohne Erfolg.
»Lucy!«, rief Aidan und winkte.
Del drückte sich noch ein bisschen näher an ihn heran. Ihr Gesicht war ernst. Noch nie war sich Lucy so sicher, dass sie gleich stolpern würde – auf den letzten Metern, die zwischen ihnen lagen. Sie betete darum, vor Dels stechenden blauen Augen nicht lang hinzuschlagen. Und wenn, dann konnte sie nur hoffen, dass sie dabei zumindest das Bewusstsein verlor.
»Hallo«, sagte Lucy, als sie vor Del und Aidan stand. Es sollte locker und cool wirken, aber es klang eher wie eine Frage. Del grinste ironisch.
»Del Flowers, und das ist Lucy ...?«
»Holloway«, ergänzte Lucy. »Lucy Holloway.« Mannomann, sogar ihr Name ist außergewöhnlich!
Sie reichten sich die Hände. Del sah Lucy nicht ins Gesicht, und sobald sie Lucys Hand gemäß den Regeln des Anstands kurz geschüttelt hatte, ließ sie sie wie eine Schlange fallen. Ihre Finger schlossen sich wieder um Aidans Unterarm.
Lucy setzte ihren Rucksack ab und zog die Arme aus der Lederjacke. Die Sonne brannte herab. Ihre grelle Spiegelung im geborstenen Asphalt bereitete Lucy Kopfschmerzen. Ihr fiel wieder ein, wie viel Zeit vergangen war, seitdem sie etwas gegessen hatte. Und den Großteil davon hatte sie ohnehin wieder von sich gegeben. Mit einem Mal wurde ihr schwindelig.
Del tippelte mit ihren Fingern über Aidans Oberarm. Er machte einen Schritt beiseite und ging in die Knie, um seinen Schnürsenkel zuzubinden. »Wie war es mit Leo?«, erkundigte er sich.
Augenblicklich wurde Lucy sauer. Wie viel Angst hatte sie gehabt! »Du hättest mich warnen können!«
»Hätte das etwas geändert?«
»Ich hätte ihn fast erstochen. Mit meinem Messer.«
Del kicherte. »Leo hat einen schwarzen Gürtel. Ich denke, gegen dich hätte er sich so gerade eben noch wehren können.«
»Nicht, wenn er nicht damit gerechnet hätte!«, gab Lucy wütend zurück.
Del verdrehte die Augen. »Jetzt mach mal halblang! Heute hat er sechs Typen plattgemacht.« Sie stieß Aidan gegen den Arm. »Erzähl es ihr mal.«
Aidan schüttelte den Kopf und murmelte etwas Unverständliches. Del sah ihn wütend an, dann warf sie Lucy einen giftigen Blick zu.
»Ihr könnt mich mal«, sagte sie und stürmte davon.
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann sagte Aidan: »Das war kein guter Tag heute. Sie ist ziemlich fertig.«
Wie kommst du nur darauf? , hätte Lucy beinahe laut gedacht.
Wortlos liefen sie zur Mitte des Platzes. Obwohl es noch mitten am Nachmittag war und sehr hell, wurden die Schatten schon länger. Mit einem Mal war die Sonne hinter brodelnden schwarzen Wolken verschwunden. Die Luft wurde drückend.
Schon wieder Regen , dachte Lucy. Und dann fielen auch schon dicke Tropfen herab. Innerhalb weniger Sekunden entwickelten sie sich zu einer wahren Sintflut. Pfützen mit Matsch bildeten sich unter Lucys Stiefeln, und sie spürte, wie sich ihre Kleidung mit Wasser vollsog. Aidans Strubbelmähne klebte an seinem Schädel. Offenbar machte das Wetter keine halben Sachen mehr.
Aidan zog Lucy unter eine hellblaue Plane, doch er ließ ihren Arm viel zu früh wieder los. Da ihr nichts einfiel, was sie hätte sagen können, starrte Lucy auf ihre Füße. Aidan sah zu der breiten Straße, über die die Sweeper gekommen waren. Sein Gesicht war ernst. Lucy folgte seinem Blick.
»Wo führt diese Straße hin?«, fragte sie.
»Sie führt nach unten. Und dann ein paar Meilen am Strand entlang bis zur Insel.«
»Es gibt also noch eine durchgehende Straße von dort bis hier?«
»Ja. Eine der wenigen, die noch passierbar sind. Sie halten sie immer frei, für die Vans. Sonst müssten sie zu Fuß laufen.«
Eine alte Frau, die ihren Kopf mit einem schwarzen Tuch bedeckt hatte, legte einen Deckel auf den großen Topf auf dem Feuer, dann ging sie zu Lucy und Aidan hinüber. Aidan machte ihr sofort Platz. Sie ging sehr langsam, wie mit steifen Gliedern. Lucys Großmutter Ferris hatte sich genauso bewegt. Der kräftige Leib der Frau war in schwarze Tücher gehüllt, ihre Nase wie ein Schnabel gebogen. An den Ohren trug sie schwere goldene Ringe, die ihre Ohrläppchen in die Länge zogen. Lucy erkannte in ihr die Frau wieder, die
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