ePub: Ashes, Ashes
wissen.
Aidan zog die Hand aus seiner Sweatshirt-Tasche. Seine Faust war voll kleiner und mittelgroßer grauer und weißer Kiesel. »Ich habe Wegmarken gelegt. Damit wir uns auf dem Rückweg leichter zurechtfinden.«
»Ich hab schon gedacht, du hättest nicht mithalten können und wärst deswegen zurückgeblieben.« Del hatte ihre Schuhe ausgezogen. Mit ihren komplett durchlöcherten Fersen waren ihre Socken in einem noch schlimmeren Zustand als die von Lucy. Sie zog sie sich von den Füßen. Zwei große Druckstellen waren zu sehen, an denen die Haut gerötet war und bereits Blasen entstanden. »Autsch«, murmelte sie und wühlte in ihrem Rucksack nach einem Paar Ersatzsocken.
Lucy fühlte einen Anflug von Mitleid und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Aidan zu.
»Wegmarken? Mit Brotkrümeln oder wie?«
»Schon mit etwas Haltbarerem.« Er kniete sich an die Felskante und schichtete vorsichtig zwei Steine aufeinander. Lucy setzte sich zu ihm.
»Das ist das Zeichen dafür, dass hier ein Weg verläuft.« Er legte einen weiteren Stein rechts daneben. »Das heißt, hier nach rechts wenden.« Er legte einen dritten Stein auf den Stapel. »Und so bedeutet es eine Warnung.«
»Das ist ja cool.« Lucy beugte sich über die Steine. »Wo hast du das gelernt?«
»Als Sammy und ich noch klein waren, haben wir uns gegenseitig Nachrichten auf den Weg zwischen dem Kinderheim und der Schule gelegt. Damals haben wir allerdings Blechdosen und leere Zigarettenschachteln und solche Sachen benutzt anstatt Steine und Stöcke.«
Lucy ließ ihre Finger zu seiner Hand wandern. Sie hielt den Atem an.
Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und ließ dann seine Hand auf ihrer Wange ruhen, während sie ihn ansah.
Del stöhnte. Ihr Kopf war gesenkt. Unnötig heftig zog sie die Schnüre ihres Rucksacks zu. Das Stöhnen mochte den Blasen gegolten haben – vielleicht war es aber auch ein Weg, ihre Meinung zu äußern. Auf jeden Fall ließen Aidan und Lucy voneinander ab. Doch während er seinen Bogen über die Schulter zog, blitzten Aidans Augen Lucy an.
Mit einem kurzen Blick vergewisserte sich Lucy, dass Del wieder bereit war. Dann machte sie sich an den Abstieg. Anfangs lief sie diagonal immer im Zickzack hin und her. Als sie an die steilste Stelle des Abhangs gelangten, warf sie ihren Speer sicherheitshalber in einen Flecken Gras voraus, um beide Hände frei zu haben. Dann drehte sie sich um und betrachtete die verwitterte Felswand. Es gab zahlreiche Scharten, an denen man sich festhalten konnte. Zudem war der Stein so rau, dass ihre Stiefelsohlen Halt finden würden. Von der Sonne, die den Tag über geschienen hatte, war die Felsoberfläche noch warm, und Lucy lehnte sich dagegen und spürte, wie die Wärme durch ihre Kleider drang. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie durchgefroren sie war. Dabei war die Nacht nicht kalt, nur feucht, aber diese Feuchtigkeit kroch ihr in sämtliche Knochen.
»Auf so etwas stehe ich überhaupt nicht«, sagte Del in diesem Moment ein kleines Stück über ihr. Durch einen Tritt löste sich eine Handvoll Erde und rieselte Lucy in die Augen. Sie wischte sie beiseite. Del drückte sich an die Felswand und spreizte ihre Gliedmaßen ab wie ein Seestern. Offenbar hielt sie sich nur durch Selbstbeherrschung dort, wo sie war. Aidan befand sich gut drei Meter über ihr, aber Lucy machte ihm ein Zeichen, dass er dort bleiben sollte.
Das Letzte, was Lucy gebrauchen konnte, war, dass Del stürzte und sich den Kopf stieß. Sie zwang sich, ruhig zu sprechen. »Gleich neben deinem rechten Fuß ist eine dicke Baumwurzel. Wenn dir schwindelig ist, lehn dich zwei, drei Atemzüge lang an die Wand, aber du darfst nicht stehen bleiben!«
Zentimeter um Zentimeter bewegte Del ihren Fuß zur Seite.
»So. Jetzt die Hände. Greif den Felszacken. Daran kannst du dich festhalten. Nun mit dem linken Fuß nach unten. Einen knappen halben Meter unter dir ist ein Absatz. Gut. Halt dich an der Baumwurzel fest. Unter dem Absatz wächst ein großerEfeu. Daran kann man wie an einer Strickleiter herunterklettern. Ja, gut machst du das!«
Lucy beobachtete, wie Del langsam ihren Anweisungen folgte. Dann kletterte sie selbst die letzten Meter des Steilhangs hinab. Von unten dirigierte sie Del noch weiter, bis sie neben ihr im Gras stand. Del ließ sich auf den Rücken fallen. Sie atmete schwer und bohrte ihre Finger in den Boden, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.
»Ich fühle mich wie durch die Mangel gedreht«, stöhnte
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