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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Treggiari
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sie.
    »Aufwärts geht es einfacher«, versprach Lucy, während sie Aidan im Auge behielt.
    Del rollte sich auf den Bauch. »Oh nein! Diesen Weg gehe ich nicht zurück! Außerdem haben wir dann die Kinder dabei. Wir nehmen den längeren Weg.« Sie hob den Kopf. »Die Kleinen gehen schließlich vor«, sagte sie mit Nachdruck.
    »Natürlich«, versicherte Lucy, ein wenig überrascht.
    Aidan kam herabgesprungen und wischte sich die Hände an seiner Jeans ab.
    Lucy nahm ihren Speer und überprüfte, ob die Spitze durch den Aufprall beschädigt worden war. Sie war immer noch scharf genug, um ihr die Daumenkuppe aufzuritzen. Dann ging sie einige Schritte bis zu der Stelle, wo der nächste Abschnitt des Bergs sanft nach unten abzufallen begann. Sie hielt den Atem an. Die Abkürzung war viel direkter gewesen, als sie erwartet hatte.
    Unterhalb, nur einen guten Kilometer entfernt, befand sich das, was einmal Lucys Zuhause gewesen war. Wenn sie nicht genau hätte sehen können, wo sie sich befanden – an derSüdseite des Great Hill, bei der riesigen Felsnadel, die nun schief stand und wie ein anklagender Finger auf sie gerichtet war –, hätte sie es nicht wiedererkannt. Dort unten war fast nur noch Schlamm. Ein Meer aus trockenem Schlamm, der seltsam glatt und vom Wind und vom Wasser in Wellen gelegt war, gekrönt von weißen Salzkrusten, wie der Zuckerguss auf einem Geburtstagskuchen. Hier und da wies der Boden größere Mulden und Einkerbungen auf, wo die Wasserwand Bäume wie Grashalme ausgerissen und davongespült hatte. Geborstene Stämme und Sträucher waren ineinander verwoben und markierten den Scheitelpunkt der Welle. Ein überwältigender Salzgeruch herrschte, dazu der Gestank organischer Materie, die in der Sonne verrottete.
    In der Entfernung glänzte der Harlem-See und seitlich davon, entlang der Landzunge, die Hudson See. Lucy schauderte und wickelte sich enger in ihre Jacke. Früher hatte sie nie Angst vor Wasser gehabt. Sie hatte es geliebt. Es hatte sie ernährt und es hatte ihr von zwei Seiten Schutz geboten. Jetzt aber wusste sie, dass es ein riesiges Lebewesen war, das unbarmherzig sein konnte und unberechenbar.
    Ohne sich viel um Aidan und Del zu kümmern, rannte sie den Abhang hinunter. Hier und da strauchelnd, lief sie durch den Sandschlamm. Der Untergrund war ihren Füßen nicht vertraut, weil er noch so weich war und ohne Wurzeln und glatt wie ein Stück Baumwolle. Lucy machte einen Schritt über ein matschiges Durcheinander von Blättern und scheuchte dabei einen Schwarm kleiner schwarzer Fliegen auf. Hier hatte sich der Zugang zu ihrem Unterschlupfbefunden. Zwei von Lucys Bäumen waren entwurzelt und weggerissen worden. Von den beiden anderen lag einer flach auf dem Boden, aber er lebte noch und trieb in seiner horizontalen Lage frisches Grün aus. Der Kalenderbaum war wie durch ein Wunder stehen geblieben. Seine Rinde war schwarz und aufgeplatzt und die kleine Blätterkrone war verdreht und hing schief. Lucy strich mit den Fingern über die Kerben, die sie in den Stamm gehauen hatte, und zählte sie lautlos. Dreizehn Monate. Es war ihr bedeutend länger vorgekommen. In den freiliegenden Wurzeln und den Erdaufwerfungen entdeckte sie einige ihrer Töpfe und Pfannen, zerbeult und deformiert.
    »Hier stinkt’s nach totem Fisch«, meinte Del und trat gegen einen Pfannendeckel.
    Aidan bedeutete ihr, ruhig zu sein.
    »Was ist denn?«, fragte sie. Dann folgte sie seinem Blick zu Lucy. »Ach so.«
    Lucy sah sich ein letztes Mal um und schlug ein paar Mal sanft mit der Hand auf den Baumstamm. Dann wandte sie sich zum See.
    Sie kamen jetzt schneller voran und liefen nicht mehr hintereinander, sondern nebeneinander. Ihre Stiefel knirschten in dem krustigen Schlamm und den trockenen Blättern und Bodennebel umwaberte ihre Füße. Unter dem Sternenhimmel zeichnete sich schwarz die Silhouette der Alice-Figur ab. Das Wasser stand ein kleines Stück unterhalb ihres steifen Unterrocks. Sie kamen an dem kleinen Wäldchen vorbei, in dem Lucy und Aidan einander zum ersten Mal begegnetwaren. Der einzige Hinweis darauf, dass das Meer bis hierher gekommen war, waren der geschwungene Spülsaum aus Piniennadeln und die Überreste des Salzes. Ein paar kleinere Bäume lagen kreuz und quer wie Zahnstocher herum. Lucy spürte, wie ihr ein Schauer das Rückgrat entlangrieselte, und sie erinnerte sich plötzlich an Hundegeheul und das schnelle Fußgetrappel der Meute. Aber alles blieb still, bis auf die Laute kleiner Tiere im

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