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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Treggiari
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Unterholz und das gleichbleibende Rauschen des Wassers. Nun begann der lange Marsch durch das Watt.
    Irgendwann flüsterte Aidan: »Da ist das Licht des Turms.« Er zeigte nach vorn. Der rote Strahl blinkte durch die dichten Wolken vor dem langsam bleicher werdenden Himmel.
    »Wenn wir genau darauf zulaufen, müssten wir zur Brücke kommen«, meinte Del.
    »Du führst uns jetzt«, bestimmte Lucy.
    Del nagte an ihrer Daumenkuppe. »Letzte Gelegenheit zu kneifen«, sagte sie und lachte. Es klang nicht fröhlich, sondern gekünstelt. Sie rückte ihren Köcher gerade, damit sie ihn mit der Hand besser erreichte, und zupfte an der Sehne ihres Bogens wie an einem Instrument. Plötzlich atemlos, zog Lucy ihre Lederjacke auf und überprüfte, ob sich ihr Messer noch in der Tasche befand. Die Hand, mit der sie den Speer hielt, verkrampfte sich und ihre Stiefel fühlten sich an wie mit Beton gefüllt. Der Boden hier bot keinerlei Deckung. Sie befanden sich auf offenem Gelände. Dazu rückte die Dämmerung heran und der Nebel begann sich aufzulösen. Das rote Licht des Turms glomm wie das Auge eines Ungeheuers,an das sich Lucy einmal erinnert gefühlt hatte. Lucy hätte sich wohler gefühlt, wenn sie über den Boden gerobbt wären, anstatt hier zu dritt aufrecht, wie bei einem Sonntagsspaziergang, durch die Gegend zu laufen.
    Sie kamen zur Brücke. Sie zweigte links von der Straße ab, erhob sich aus den Nebelbänken und ragte an ihrer höchsten Stelle über dem See etwa sechs Meter in die Höhe. An dieser Stelle würde man sie von der Insel aus am leichtesten sehen können, selbst wenn sie am Rand liefen. Die Brücke war so breit, dass ein Fahrzeug darüberfahren konnte; sie bestand aus Beton, hatte hohe Stahlgeländer und am Ende einen Ankerblock aus Stahl, der die Konstruktion trug. Im Nebel wirkte sie wie ein Streifen schwarzer Seide, der sich in die Unendlichkeit hinauswand. Es würde wohl aussehen, als wandelten sie zu dritt über das Wasser, überlegte Lucy, während sie die Brücke betrachtete. Und sie würden bestens erkennbar sein.
    Ein langer flacher Steinbau und der hohe, eckige Turm beanspruchten fast den gesamten Platz auf der Insel. Auf dem Dach des Flachbaus befand sich eine Zisterne, die im Vergleich zum Turm zwergenhaft erschien. Von einer Seite gingen dicke Rohre ab. Eine Fahne aus schwarzem Rauch hing in der Luft. Bäume gab es keine, nur große, halbkreisförmige Parkplätze an der Vorderseite, auf denen aber kein einziger Wagen stand, und zwei schmale rechteckige Grünflächen mit einem Dutzend Parkbänke. Ein paar wenige hohe Straßenlaternen brannten flackernd, als wenn ihrem orangefarbenen Licht immer wieder der Strom ausging. Kein einziges Fenster war erleuchtet.
    Lucy überlegte, wo die weißen Vans sein mochten. Wahrscheinlich waren sie gerade wieder ausgeschwärmt. Sie erinnerte sich an die Nachrichtensendungen, die von der Insel ausgestrahlt worden waren. Das Krankenhaus mit seinen glänzenden Böden, hellen Lichtern, Horden von Ärzten in weißen Kitteln und lächelnden Schwestern. Es war so anders gewesen als das Krankenhaus, in dem ihre Familie gestorben war: schlecht beleuchtet, überfüllt mit Rollbahren, die sich auf den Fluren drängten oder in irgendwelche Kammern geschoben worden waren. Der Geruch von Blut und Erbrochenem war Lucy in die Nase gestiegen, die Böden waren mit fleckigem Bettzeug übersät gewesen und Kopfkissen hatten sich in den Ecken gestapelt. Und nur ganz selten hatte man einen Arzt zu Gesicht bekommen. Stundenlang hatte Lucy suchen müssen, bis sie ihre Eltern endlich gefunden hatte. Sie hatte endlose Listen durchgesehen und die kleinen Karten, die mit einer Schnur an die Zehen der Toten gebunden worden waren, gelesen, bis sie sich schließlich eine Schwester gepackt und sie gezwungen hatte, ihr zu helfen.
    Das Blut rauschte laut in Lucys Kopf.
    Del setzte als Erste ihren Fuß auf die Brücke. »Gehen wir«, sagte sie. »Eine Stunde Dunkelheit haben wir noch.«
    »Bleibt an den Rändern und achtet darauf, ob Scheinwerfer auftauchen«, sagte Aidan. »Wenn wir drüben sind, laufen wir zum Seiteneingang. Richtig, Del?«
    Sie nickte. »Wo ich herausgekommen bin.«
    Lucy glaubte, eine gedämpfte Begeisterung in Aidans Stimme zu hören. War sie die Einzige, die Angst hatte? Zögerlichmachte sie den ersten Schritt, als fürchtete sie, die Brücke könne unter ihrem Gewicht zusammenbrechen. Noch nie hatte sie solche Angst gehabt. Sie begaben sich an einen Ort, an dem Menschen

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