ePub: Der letzte Zauberlehrling
eine schmale Brille, die keine Bügel hatte, sondern seitlich an einem dünnen Metallstab befestigt war, den er nach unten ausklappte. Er hob die Gläser vor seine Augen und studierte den Magier eindringlich. Schließlich steckte er die Brille wieder weg.»Sie sind nicht zufällig ein Verwandter des Earl of Brittenborough?«, fragte er.
»Exzellenz haben ein ausgezeichnetes Auge«, erwiderte Moriarty. »Der Earl ist mein Großonkel zweiten Grades.«
»Sieh an, sieh an. Dann müssen Sie aus der Grampton-Linie stammen, stimmt’s?«
»So ist es.« Moriarty nickte höflich. »Meine Mutter ist eine geborene Grampton.«
»Eine ehrenwerte Familie. Wie kommt es dann, dass Sie sich mit Spionage befassen?« Er wartete die Antwort nicht ab. »Ach, das ist sowieso egal. In vierundzwanzig Stunden werde ich auch der Herrscher über die Britischen Inseln sein. Damit wäre der Spionagevorwurf hinfällig. Ich denke, ich werde Sie dann begnadigen.«
»Exzellenz sind zu großzügig«, sagte Moriarty mit unbewegtem Gesicht.
Ich hätte beinahe gelacht über dieses Herumgegockele, wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre. Der Erzkanzler mochte wie ein Schwachkopf erscheinen, aber er war der mächtigste Mann im Staat und kurz davor, sich mit den Dämonen zu verbünden. Und Pompignac war sein williger Gehilfe. Der Auftritt gerade hatte gereicht, um mich von seiner wahnhaften Besessenheit zu überzeugen, es allen Zauberern zu zeigen. Er würde eher die Welt vernichten, als noch einmal hinter Prometheus zurückzustehen, das war sicher.
»Exzellenz, lassen Sie sich nicht täuschen. Dieser Mann ist ein gefährlicher Magier und Staatsfeind«, meldete sich Pathé zu Wort.
»Bis morgen, mein Lieber, bis morgen. Dann wird allesanders sein. Auch für Sie.« Der Erzkanzler wandte sich an Pompignac. »Warum hat man diese Menschen denn nun hergebracht, Professor?«
»Weil sie bedeutsamer sind, als es scheinen mag, Eure Exzellenz.«
»Wenn ich Sie richtig verstehe, Professor, dann ist der Alte ein gefährlicher Zauberer und der Brite ein Spion. Und was ist mit dem Jungen und dem Mädchen?«
»Unwichtig, Eure Exzellenz. Er ist in der Tat nur ein einfacher Zauberlehrling und sie eine Gehilfin des Alten.«
»So, so.« Pompignac betrachtete mich prüfend und ich sah meine Gelegenheit gekommen.
»Sie dürfen dieses Vorhaben nicht weiterführen, Exzellenz«, sagte ich, an den Erzkanzler gewandt. Er schien mir noch derjenige zu sein, den man am ehesten beeinflussten konnte. »Niemand weiß, welche Folgen die Aktivierung eines Überzaubers haben wird. Und wenn Sie tatsächlich die Dimensionssperre öffnen, dann werden die Dämonen uns alle unterwerfen.«
Der Erzkanzler setzte eine überraschte Miene auf. »Wie kommt es, dass dieser einfache Zauberlehrling so viel von unseren Plänen weiß, Pathé?«, wandte er sich an den Polizeichef. »Wozu treiben wir diesen ganzen Aufwand an Polizei, Armee und Geheimhaltung, wenn jeder hergelaufene Bursche unsere Absichten kennt?« Seine Stimme war mit einem Mal hart wie Stahl. Er war wohl doch nicht der Trottel, für den ich ihn gehalten hatte, und meine Hoffnung, ihn vielleicht überzeugen zu können, war nichts als Wunschdenken.
»Ich kann mir sein Wissen auch nicht erklären, Exzellenz«,erwiderte Pathé. »Aber wir werden das bei unseren Befragungen sicher noch herausbekommen.«
»Nun, es kann uns auch gleichgültig sein. Es würde aber erklären, warum unsere Gäste so ein Interesse an dieser Bande haben.«
Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als zwei Gestalten, die in fußlange rote Roben gekleidet waren, durch eine Tür am anderen Ende des Raums traten. Ihnen folgte jemand, den ich nur zu gut kannte. Lothar!
Dann war es Papillon also nicht gelungen, ihn vor den Toren der Stadt noch abzufangen. Das Werhörnchen hatte zielgerichtet den Weg hierhin gefunden. Wie hatte es das nur hingekriegt? Und wie hatte es sich Zutritt verschafft? Und wer waren diese Robenträger, denen es sich offenbar willig angeschlossen hatte?
Sie kamen zu uns heran, und Pompignac und der Erzkanzler traten respektvoll zur Seite. Zugleich schoss mir ein scharfer Geruch in die Nase, so wie ich ihn von Lothar kannte, nur um ein Vielfaches stärker. Die beiden waren Dämonen! Aber wie konnte das sein? Wie waren sie hierher gekommen, wenn der Überzauber noch nicht aktiviert worden war? Auch Prometheus und Moriarty betrachteten die Neuankömmlinge mit fragenden Gesichtern.
Wenn sie auch aus der Ferne wie Menschen aussehen
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