ePub: Der letzte Zauberlehrling
Das Haus und alles, was er besaß, gehören jetzt dir.«
Ich ließ mich auf die Sofalehne sacken. Tucker sah mich mitfühlend an. »Du musst dir keine Vorwürfe machen. Gordius hat gewollt, dass du ihn so in Erinnerung behältst, wie er war. Es ging mit ihm zu Ende und er wusste das. Deshalb hat er dich fortgeschickt.«
Seine Stimme klang dumpf, so als seien wir durch einen dicken Vorhang getrennt. Es war aber nur das Rauschen in meinem Kopf, das immer lauter wurde, bis ich mir schließlich die Hände gegen die Ohren presste und mein Gesicht in das Sofapolster drückte. Tucker ließ mich wortlos gewähren. Nach ein paar Minuten richtete ich mich auf und starrte mit leeren Augen in das zugeschwollene Gesicht des Händlers. Ich schämte mich. Eigentlich war ich es, der sich um ihn kümmern sollte; jetzt war er es, der mich tröstete.
Mit einem Ruck stieß ich mich von der Sofalehne ab, stand auf und fuhr mir mit dem Handrücken über die Wangen. Meine Kehle war immer noch wie zugeschnürt. Mit langsamen Schritten stakste ich zum Fenster hinüber. Der Ausblickwar mir so vertraut, und doch kam es mir so vor, als befände ich mich an einem völlig fremden Ort. Solange dieses Haus Gordius gehört hatte, war es meine Heimat gewesen. Jetzt, da ich mit einem Mal der Besitzer war, fühlte ich mich wie ein Fremdkörper darin.
Nachdem ich eine Weile aus dem Fenster gestarrt hatte, ging ich in die Küche und trank ein Glas Wasser. Dann kehrte ich zu Tucker zurück.
»Geht’s wieder?«, fragte er.
Ich nickte. »Und selbst?«, fragte ich. »Wer hat dich so zugerichtet?«
»Was du hier siehst, ist das Werk der Sicherheitspolizei.«
»Die Sicherheitspolizei? Hier auf dem Land?« Seine Antwort schockierte mich. Ich hatte Paris verlassen, um nicht mit den Behörden zu tun zu bekommen, und jetzt waren sie bereits hier aufgetaucht.
»Die Zeiten haben sich geändert«, erklärte Tucker. »Gordius war immer ein Gegner von Pompignac und hat nie ein Hehl daraus gemacht, ebenso wenig wie ich. Aber offenbar darf man Kritik nicht mehr laut äußern, seitdem er gemeinsame Sache mit der Regierung macht. Vor einer Woche hat mich unser Ortspolizist beiseitegenommen, nachdem ich im Dorfkrug mal wieder etwas zu laut gegen Pompignac gewettert hatte. ›Tucker‹ hat er gesagt, ›du solltest in Zukunft ein wenig vorsichtiger sein mit deinen Worten. Vor allem, wenn Fremde im Raum sind.‹ ›Darf man nicht mal mehr seine Meinung sagen?‹, habe ich ihn gefragt. ›Zu diesem Thema nicht. Wir haben ein Rundschreiben von der Sicherheitspolizei erhalten, in dem wir dazu aufgefordert werden, jegliche Kritik an Pompignac sofort zu melden.‹ ›Das wirst du doch nicht tun? Du bist doch einer von uns!‹, habe ich gesagt. ›Vor mir brauchst du keine Angst zu haben. Aber nicht jeder denkt so wie ich. Pass in Zukunft einfach ein bisschen mehr auf.‹
Du kennst den alten Tucker, Kleiner. Der lässt sich so schnell nicht das Maul verbieten, und wenn der Erzkanzler selbst das anordnet. Jetzt habe ich dafür bezahlt. Gestern Nachmittag standen drei Gestalten in langen Mänteln und Schlapphüten bei mir vor der Tür und haben mich zu einem kleinen Ausflug eingeladen. Der endete dann im Maisfeld, wie du weißt. Vorher haben sie mir allerdings noch eine Menge guter Ratschläge gegeben, die alle auf eins hinausliefen: Wenn sie mich noch einmal besuchen müssten, dann gehe es nicht so glimpflich aus.«
»Glimpflich? Das nennen die glimpflich?«
Tucker berührte vorsichtig seine geschwollene Wange. »Das kommt immer auf den Maßstab an. Sie hätten mich auch umbringen können.«
»Viel gefehlt hat daran nicht«, sagte ich.
»Ach, das wird schon wieder. Viel wichtiger erscheint mir die Frage, warum du wieder hier bist. Und was du vorhast.«
Ich berichtete ihm von meinen Erlebnissen in Paris und den Plänen, die Prometheus und Agnetha gegen Pompignac schmiedeten. Als ich von meinem Entschluss erzählte, mich nicht daran zu beteiligen, kam ich mir schäbig vor. Immerhin war Tucker der lebende Beweis dafür, wie skrupellos die Regierung zu Werke ging. Er hatte den Mut besessen, den Mund aufzumachen, während ich mich wie ein furchtsames Mäuschen davongestohlen hatte.
»Mach dir keine Vorwürfe«, sagte Tucker, als ob er meine Gedanken erraten hätte. »Wir können nicht alle Helden sein. Ich habe zwar eine große Klappe, aber die ist einfach angeboren. Mit Mut hat das nicht viel zu tun. Niemand erwartet von dir, die Welt zu verändern. Ich bin sicher,
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