ePub: Der letzte Zauberlehrling
mich nicht hier in der Provinz verkriechen, während diejenigen, die meinen Freund so übel zugerichtet hatten, weiter ihrem finsterenHandwerk nachgehen konnten. Ich wollte, dass sie bestraft wurden. Und dafür musste ich zurück.
Tucker hatte schon vor mir gewusst, wie ich mich entscheiden würde. »Siehst du das hier?«, sagte er und beschrieb einen weiten Bogen mit seinem Arm. »Das ist eine friedliche Gegend. Wir leben miteinander, wir streiten uns manchmal, wir haben auch unsere Probleme – aber wir respektieren uns gegenseitig. Das geht so, seitdem ich zurückdenken kann. Und das ist ziemlich lange. Als ich das Laufen lernte, war Gordius bereits hier und kümmerte sich um die Leute im Dorf. Und jetzt?«Er hob die Hand und zählte an den Fingern ab: »Gordius ist nicht mehr da, und es wird auch keinen Nachfolger geben, weil es keine Zauberer mehr gibt. Schläger aus der Stadt kommen zu uns heraus und wollen uns einschüchtern. Die Regierung tut sich mit einem Großunternehmer zusammen und plant etwas, das zu unserer aller Vernichtung führen kann.«
Er ließ seine Hände sinken. »Hinter allem steckt Pompignac. Ein Mensch, der seine Macht ohne Skrupel gebraucht, um seine Ziele durchzusetzen. Und dabei bleibt das alles hier auf der Strecke. Es ist wert, dafür zu kämpfen.«
»Auch wenn der Kampf aussichtslos erscheint?«, fragte ich.
»Die meisten Kämpfe gegen einen vermeintlich übermächtigen Gegner scheinen anfangs aussichtslos. Aber sieh dir die Geschichte an, wie viele davon schließlich gewonnen wurden. Jede Revolution hat einmal klein angefangen und wurde verlacht.«
»Aber ich bin kein Revolutionär. Dafür habe ich viel zu viel Angst.«
»Du darfst ruhig Angst haben«, sagte er. »Aber du darfst nicht zulassen, dass sie dein Leben bestimmt.«
Das war leicht gesagt. Und doch spürte ich, wie wichtig es für mich war, jetzt eine Entscheidung zu treffen. Und diese Entscheidung konnte nur die zur Rückkehr sein, das hatte ich die ganze Zeit gewusst. Zumindest, seitdem ich das Buch über die Dämonen, das ich aus dem verlassenen Zauberbedarfsladen in Paris gerettet hatte, gelesen hatte. In der Aufregung der ersten Tage nach meiner Ankunft hatte ich den schmalen Band völlig vergessen, doch irgendwann erinnerte ich mich daran und zog mich, während Tucker schlief, damit in einen der Gartenstühle zurück.
Über den Autor erfuhr man nichts; er räumte im Vorwort selbst ein, dass es sich bei dem Namen auf dem Umschlag um ein Pseudonym handelte. Er begann mit einer Erklärung dessen, was »Dämon« eigentlich bedeutet:
»Das Wort Dämon stammt vom griechischen Wort daimon ab. Daimon bezeichnete den Geist der Verstorbenen, also ihre Seelen, von denen man glaubte, dass sie eine Zwischenstufe zwischen Göttern und Menschen einnehmen würden. Daimones galten als Götter zweiter Klasse. Zudem ist das Wort daimon verwandt mit dem griechischen Wort daimonion , das »Schicksal« oder »Gewissen« bedeutet, welches jeden Menschen sein Leben lang unsichtbar begleitet. »Dämon« war also ein durchaus positiv gebrauchter Begriff und wurde erst im Mittelalter ins Negative gekehrt, als man begann, unangenehme Eigenschaften damit zu verbinden.«
Es ging weiter mit einer historischen Betrachtung über die Rolle von Dämonen im Aberglauben, vom Mittelalter bis indie heutige Zeit. Der Verfasser vertrat die Ansicht, die meisten der Vorkommnisse, die im Zusammenhang mit Dämonen überliefert waren, seien frei erfunden. Erst in der Mitte des schmalen Bandes kam er endlich darauf zu sprechen, was seiner Meinung nach tatsächlich hinter der Erscheinung von Dämonen stand. Er berief sich dabei auf die Begegnung mit einem alten Zauberer, dessen Name ungenannt blieb, der angeblich einem Dämon begegnet war, ihn bei sich aufgenommen und viele Jahre beherbergt hatte. Von diesem hatte der Verfasser sein Wissen bezogen.
Zu Anfang wiederholte er das, was ich bereits von Lothar wusste: Dämonen seien Bewohner einer anderen Dimension, die uns Menschen aufgrund ihrer Technologie weit überlegen seien. Ihre Zivilisation sei um viele Hunderttausend Jahre älter als die unsere. Im Laufe dieser Zeit hätten sich auch die Charaktereigenschaften der Dämonen so weit verändert, dass sie mit denen von Menschen kaum noch zu vergleichen seien.
»Durch die immer weitere Verwissenschaftlichung des gesamten Lebens und eine gezielte Beeinflussung ihres Nachwuchses gelang es den Dämonen, sich nahezu völlig unabhängig von Gefühlen jeder Art
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