ePub: Drachenhaut (German Edition)
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Es hatte Aspantaman einige Mühe der Überzeugung oder doch eher Überredung gekostet, bis Amayyas sich endlich einsichtig zeigte. Er hatte argumentiert, an die Vernunft des Prinzen appelliert, Gründe aufgezählt, Szenarien entworfen und schließlich in reiner Verzweiflung gefleht, gebettelt und beinahe geweint. Das Ganze wurde natürlich dadurch erschwert, dass der Prinz den größten Teil des Monats nicht vollkommen bei klarem Verstand war und deshalb Argumenten sogar noch weniger zugänglich als am Tag des Dunkelmondes.
Aber an einem dieser Tage war es schließlich, dass Amayyas seufzte, nickte, die Hände hob und sagte: »Ich ergebe mich, Aspantaman. Du hast gewonnen. Ich werde verrückt, wenn ich dir noch länger zuhören muss.«
Dem Obersteunuchen knickten vor Überraschung die Beine ein. Er taumelte und hielt sich an einem Stuhl fest. »Du ... du willst meinem Rat folgen?«, fragte er ungläubig.
»Habe ich das nicht gerade gesagt?« Der Prinz biss sich ungeduldig auf die Lippe. »Ich bin nicht überzeugt, dass es das Richtige ist, Aspantaman. Also stell meinen Entschluss bitte nicht zu hart auf die Probe!«
Er sprach zu Aspantamans Rücken. Der Eunuch kniete vor einer Truhe und wühlte geschäftig darin herum, begann schließlich, Kleidungsstücke auf den Boden zu werfen. »Wir müssen überlegen, wie wir an zwei Kamele herankommen, die Stallungen sind gut bewacht«, sagte er. »Ich werde diesen Korb füllen und noch zwei Reisesäcke, mehr wage ich nicht durch das Serail zu tragen. Wir müssen sehen, wie wir mit wenig auskommen, mein Prinz.«
Amayyas begann zu lachen. »Mit wenig auskommen«, wiederholte er und schlug dem Eunuchen amüsiert auf die Schulter. »Aspantaman, du müsstest doch wissen, mit wie wenig ich gelernt habe auszukommen ‒ meinetwegen roll etwas Kleidung in zwei Decken ein und lass uns gehen.«
Aspantaman hörte auf, die Truhe auszuräumen, und hockte sich auf die Fersen. Sein Blick, der den Prinzen traf, sprach von unerschütterlicher Zuneigung. »Ich werde nicht dulden, dass du lebst wie ein Bettler oder ein Flüchtling«, sagte er. »Ich bin ein Sklave, mir steht kein Luxus zu. Aber du bist der Kronprinz von Gashtaham ...«
»Nicht mehr lange«, unterbrach ihn Amayyas rau. »Nur deshalb mache ich mich bereit, mich wie ein jämmerlicher Feigling bei Nacht und Nebel davonzustehlen, um meine elende Haut zu retten.« Er wandte sich heftig ab.
»Du bist der Kronprinz. Niemand kann dir das nehmen, ohne Unrecht zu tun.« Aspantaman schlug den Truhendeckel so heftig zu, dass ein Stück von seinem Rand abplatzte.
»Mein Vater hat jedes Recht, mich zu verbannen«, erwiderte der Prinz ruhig. »Ich bin nicht dazu geeignet, den Thron zu besteigen. Du kannst nichts anderes behaupten, mein Freund.«
Aspantaman senkte den Blick und biss sich auf die Lippe. »Wir sollten heute Nacht gehen«, sagte er nach einer Weile.
»Heute Nacht.« Amayyas seufzte. »Morgen bin ich dann ein Panther, der sich kaum noch erinnert, ein Mensch gewesen zu sein. Und in ein paar Tagen kannst selbst du mich nicht mehr bändigen. Wohin soll ich gehen? Ich bin eine Gefahr für dich und alle, denen wir begegnen.«
»Wir haben keine Wahl.« Der Erzieher packte die kleine Reisetruhe und sah sich um. »Das bringe ich gleich hinunter. Wir müssen versuchen, die Stadtgrenzen bis zum Morgengrauen so weit wie möglich hinter uns zu lassen. Ich wollte, wir könnten zwei der Rennkamele deines Bruders stehlen.« Er hob die Truhe auf und sah den Prinzen ernst an. »Wir werden in die Wüste fliehen. Es gibt dort Leopardenmenschen.«
Der Prinz sah ihn reglos an. »Du glaubst, dass sie mich freundlich aufnehmen werden? Ich bin der Sohn ihres Feindes. Mein Vater hat Dutzende von ihnen getötet, ihre Felle und ihre Köpfe schmücken seine Gemächer. Denkst du, das wissen sie nicht?«
Aspantaman hob die Schultern. »Hast du eine bessere Idee?«
Amayyas lachte trocken auf. »Ich?« Er machte eine hoffnungslose Handbewegung. »Aber lieber lasse ich mich von den Dämonenpanthern töten als von meinem Bruder Farrokh, der nur auf die Gelegenheit lauert, mir das Fell abzuziehen.« Er nickte zur Tür. »Wir warten bis zum dritten Wachwechsel, dann gehen wir.«
Es gab kaum eine Stunde am Tag, in der vollkommene Ruhe im Serail herrschte. Tag und Nacht waren Bedienstete in den Gängen unterwegs, die Wachen patrouillierten ständig auf dem Gelände, Hofbeamte kamen früh und gingen spät, Höflinge, diekeinen Schlaf fanden,
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