ePub: Drachenhaut (German Edition)
begann das Gesicht sich aufzulösen. Die Haut riss auf und blätterte ab wie alte Farbe, und was darunter zum Vorschein kam, war nicht menschlich. Lilya blickte schreckensstarr auf einen schmalen, grausamen Reptilienkopf mit Nüstern, aus denen dunkle Glut gloste. Die starren Augen fixierten sie und bannten sie auf die Stelle. Ein zahnstarrendes Maul mit einer langen, gespaltenen Zunge fuhr auf sie zu und blies ihr heißen, nach Feuer riechenden Atem ins Gesicht. Ledrige Schwingen entfalteten sich knatternd. Spitze, dornenbewehrte Schultern reckten sich zur Decke, ein langer Rücken voller Stacheln streckte sich durch den Raum und endete in einem schuppigen Schweif, der unruhig von Seite zu Seite zuckte. Kräftige Tatzen mit scharfen Krallen bohrten sich in den Steinboden.
»Lilya, mein Kind«, sagte der Drache.
Lilya löste sich aus ihrer Erstarrung und schrie.
»Lilya, mein Kleines.« Jemand hielt sie fest umfangen. Lilya wehrte sich nach Leibeskräften, aber ihre Bewegungen waren so schwach und hilflos wie die eines Säuglings. Sie hörte sich selbst wimmern.
»Ajja ist hier«, sagte die Frau. »Deine Ajjaja ist hier. Alles ist gut, mein Goldkörnchen. Alles wird gut.« Sie klang, als ob sie weinte.
Lilyas Herzschlag beruhigte sich. »Ajja«, sagte sie. »Oh, ich habe so schrecklich geträumt.«
»Alles wird gut, Daunenfederchen«, summte die Amme und wiegte sie in den Armen. Lilyas Blick, der verschwommen und trüb gewesen war, klärte sich. Sie sah in Ajjas Gesicht, über das helle Tränen liefen.
»Was hast du?«, fragte Lilya erstaunt und machte sich los. »Ich habe wirklich nur schwer geträumt, Ajja. Du musst nicht weinen.«
Die Amme schnüffelte und wischte sich mit dem Zipfel ihres Schultertuchs über die Augen. »Liebchen, mein kleiner Goldfasan«, sagte sie und wich Lilyas Blick aus. »Alles wird gut. Aber natürlich, alles wird gut. Dein Großvater kommt, ich habe ihn rufen lassen, als ich dich schreien hörte.«
Lilya krauste die Stirn. Wieso hatte Ajja den Beg gerufen? Weil seine Enkelin im Schlaf geschrien hatte? Kobad würde nicht kommen, er hatte Wichtigeres zu tun, als ...
Die Tür öffnete sich und ihr Großvater trat ein. Seine Miene war ernst und besorgt. Er beachtete die weinende, händeringende Ajja nicht, sondern kam an Lilyas Bett. »Licht«, befahl er und beugte sich über seine Enkelin.
Lilya blinzelte verblüfft. Ajja war auf den Befehl des Begs hin zum Fenster gestürzt und hatte die Vorhänge aufgerissen. Helles Sonnenlicht fiel ins Zimmer und blendete Lilya. Sie jammerte leise und hob protestierend die Hände vors Gesicht, aber der Beg griff nach ihren Handgelenken und zog sie erstaunlich unsanft beiseite. »Lass mich sehen«, gebot er.
Lilya presste die Lippen zusammen. Sie hasste es, bei hellem Tageslicht prüfend gemustert zu werden ‒ selbst wenn es ihr Großvater war, der das tat. Wütend erwiderte sie seinen Blick und hörte, wie Ajja am Fenster aufschrie und in der Sprache der Wüstenleute etwas sagte. Das erschreckte Lilya mehr als das seltsame Benehmen des Begs. Ajja legte größten Wert darauf, keine Wüstenfrau mehr zu sein. Sie war stolz darauf, ein Mitglied von Kobads Haushalt zu sein, und wollte nicht an ihre Herkunft erinnert werden. Die Amme musste über irgendetwas vollkommen außer sich sein.
»Was ist los?«, fragte Lilya und versuchte, Kobads Starren zu ignorieren. »Ihr benehmt euch beide so seltsam.«
»Du warst lange ohne Bewusstsein«, erwiderte Kobad. »Wie fühlst du dich?« Sein starrer Blick belebte sich, er lächelte sie beruhigend an und strich sacht mit dem Daumen über ihren Wangenknochen. Ajja sog mit einem scharfen Laut den Atem ein und jammerte dann wieder wortlos vor sich hin.
»Ich habe geschlafen«, versetzte Lilya. »Was soll daran so besonders sein?«
Kobad neigte den Kopf. »Eine ganze Woche lang?«, fragte er.
Es benötigte eine Weile, bis Lilya die Worte verstand. »Eine Woche?«, fragte sie ungläubig. Sie blinzelte, denn das Licht schmerzte in ihren Augen.
Der Beg nickte und winkte Ajja, sie möge die Vorhänge wieder schließen. Er nahm Lilyas Hände in die seinen. »Eine Woche«, bestätigte er. »Ich war sehr in Sorge. Du bist vom Basar zurückgekehrt ‒ erinnerst du dich daran? ‒ und wir haben noch miteinander gesprochen. Über den Sklavenjungen und anderes.« Sein Gesicht bewölkte sich. »Dann bist du zu Bett gegangen wieimmer und am anderen Morgen hat deine Dienerin dich nicht aufwecken können. Du hast eine
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