ePub: Drachenhaut (German Edition)
falkengesichtige Wüstenmann lief mit stetem Schritt neben ihrem Kamel Juina her oder begleitete Tedus, die auf dem grobknochigen Atlar ritt. Seit sie aufgebrochen waren, hatte Lilya ihn noch keinen Meter reiten sehen, aber er wirkte so frisch und ausgeruht wie am ersten Tag.
Sie folgte also Gwasilas Rat, und dann taten ihr zu allem anderen auch noch die Füße weh.
Abends saßen sie um die beinahe rauchlosen Feuer aus getrocknetem Kameldung, und Lilya betastete die Blasen, die sie an den Füßen hatte. »Ich weiß nicht, was schlimmer ist«, beklagte sie sich bei Tedus. »Der Hintern tut mir so weh, dass ich kaum sitzen kann, aber wenn ich noch einen Schritt mit diesen Blasen laufen muss, dann falle ich tot um.«
Tedus lachte ihr tiefes, lautes, ansteckendes Lachen und strich ihr mit der großen Hand eher rau als zärtlich über den Kopf. »Du siehst aus wie ein Wüstenmädchen«, sagte sie, »aber deine Seele ist immer noch die einer zarten Banu aus der Stadt.«
Lilya ertrug den Spott mit einem schiefen Grinsen. Sie betrachtete unwillkürlich ihre Hände, die dunkelbraun aus dem Stoff ihrer Ärmel blickten. Seit sie die Stadt verlassen hatte, war ihre Haut unter dem Einfluss der gnadenlosen Sonne, die sie ihr ganzes Leben so sehr gemieden hatte, so dunkel geworden, dass niemand mehr einen Gedanken daran verschwendet hätte, sie könne eine Sardari sein. Lilya seufzte leise und verbarg ihre Hände. Die Male darauf leuchteten immer heller, je dunkler ihre Haut sich tönte.
Tidar beugte sich zu ihr. Die füllige Wüstenfrau hielt einen Becher mit beiden Händen umschlossen, aus dem heißer, aromatischer Dampf stieg. »Du wolltest mir erzählen, wie du den Sturm beschworen hast«, sagte sie leise. »Es beunruhigt mich, dass du danach zwei Tage lang krank warst. Das ist ungewöhnlich. Und du hättest diesen Zauber eigentlich gar nicht ohne Hilfe bewerkstelligen können.«
Lilya leckte den salzigen Staub von ihren Lippen, die rau waren und aufgesprungen von Sand, Wind und Sonne. Tedus hatte sie schon mehrmals nach diesem Ereignis gefragt, aber Lilya hatte sie jedes Mal vertröstet. »Es war ...«, begann sie und stockte. Wieder hatte sie das Gefühl, dass jemand sie warnend anstieß. Sie wollte der Drachenfrau aber erzählen, was sie erlebt hatte, denn es beunruhigte sie. Die letzten Momente des Sturmes verfolgten sie in ihren Träumen. Sie hörte die Stimme Des Naga und spürte seine Berührung, die kalt und fremd war. Und danndie Kraft, die sich in sie ergoss wie ein Sturzbach und sie beinahe von den Füßen gerissen hatte. Es war so beängstigend gewesen und gleichzeitig so erregend. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, sie fühlte sich zerrissen zwischen widerstreitenden Gefühlen. Es wäre gut, Tedus davon zu erzählen.
Lilya öffnete den Mund und hörte sich sagen: »Ich weiß nicht, was geschehen ist. Ich habe das Zeichen beschworen und gemerkt, dass der Zauber mich überfordert. Mehr weiß ich nicht mehr.«
Das stimmt doch nicht! , dachte sie. Warum sage ich so etwas, wenn es doch nicht stimmt? Sie öffnete den Mund, bewegte die Lippen und die Zunge, formte Laute, wollte die Wahrheit sagen und Tedus um Rat fragen, aber wieder sprach ihre Stimme Worte, die sie nicht beabsichtigt hatte. »Es tut mir leid, Tedus. Ich werde nie wieder so etwas alleine versuchen, das war mir eine Lehre.«
Lilya presste die Lippen zusammen, fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, bewegte ihre Kiefermuskeln. Daeva? , dachte sie erschreckt. Ist es wieder der Dämon, der mich lenkt und mich ins Dunkle verbannt?
Tedus sah sie mit Sorge im Blick an. »Geht es dir nicht gut? Du siehst angegriffen aus.« Sie legte die Hand an Lilyas Schläfe. »Kein Fieber«, konstatierte sie. »Eher etwas zu kühl. Du bist noch nicht wieder auf dem Damm, Drachenkind.«
Am fünften Tag erreichten sie die in einem kleinen Tal gelegene Oase, in der die Alten und Kranken, die meisten Tiere und auch einige von der Reise erschöpfte Mütter mit ihren kleinen Kindern Unterschlupf fanden. Eine Handvoll junger Männerwürden als Schutz und Arbeitskräfte bei ihnen im Lager bleiben. Die Karawane rastete hier einen ganzen Tag lang, bevor sie den Weg zu den Bergen fortsetzte.
Lilya trennte sich schwer von dem schattigen, grünen Tal. Es war so verlockend, einfach hier in eine der niedrigen Hütten zu kriechen und darauf zu warten, dass die Jagdsaison zu Ende ging. Aber sie war nach Tedus diejenige mit der am deutlichsten gezeichneten Drachenhaut. Sie war
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