Er ist der Freund meiner Freundin: Roman (German Edition)
eigentlich auch nicht. Du bist bei mir geblieben und Edwin bei Lena. Darüber war ich sehr froh, sollst du wissen. Sehr froh. Schwierig war es trotzdem.«
Ich fahre mit den Fingern durch meine widerspenstigen Locken und bin gespannt, worauf er hinauswill.
»Ich dachte, ihr hättet den Entschluss gemeinsam gefasst«, sage ich. »Euch scheiden zu lassen, meine ich. Dass ihr nicht länger zusammenleben wolltet.«
»Zumindest haben wir beschlossen, es nach außen so darzustellen. Ihr solltet in keinem Loyalitätskonflikt landen, kein Mitleid mit einem von uns haben …«
»Dann war es gar nicht so?«
Papa räuspert sich befangen. Das Gespräch nimmt eine Wendung, die er offensichtlich so nicht eingeplant hatte.
»Na ja, du bist ja jetzt wie gesagt erwachsen. Nein, so einfach war es nicht. Am Anfang hab ich ehrlich gesagt nichts verstanden. Ich dachte, es gehe uns gut. Aber ich war wohl blauäugig, zu abgestumpft, um die Zeichen rechtzeitig zu erkennen. Bis Lena mir überraschend mitteilte, dass sie mich verlassen wolle. Für mich kam es wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Was sicher an mir lag. Ich hab wie gesagt, die Zeichen nicht früh genug erkannt.«
Ein schwindelerregender Gedanke schießt mir durch den Kopf. »Du meinst doch nicht, dass sie … also, dass ein anderer Mann im Spiel war? Versuchst du, mir das zu sagen?«
Papa wedelt abwehrend mit der Hand. »Nein, nein, nein, ganz und gar nicht! Jedenfalls nicht, soweit ich weiß. Ich kann es mir jedenfalls nicht vorstellen. Obwohl der Gedanke natürlich auch in meinem Kopf aufgetaucht ist, damals, am Anfang, als ich nach Erklärungen suchte. Aber nein, ich glaube, es lag daran, dass ich zu zufrieden mit meinem Leben war. Ich wollte nie mehr . Ich hatte kein Interesse an einem besseren Job oder daran, Karriere zu machen, ich wollte nichts verändern oder mich weiterentwickeln. Ich hatte keinen Antrieb, wie sie es ausdrückte. Ich würde mein ganzes Leben im Leerlauf verbringen. Lena ist ja genau das Gegenteil. Sie will immer weiter, nach vorn und nach oben. Was Neues lernen, Neues erreichen … na ja, aber das weißt du ja.«
Ich nicke. Ja, das weiß ich. Sie will nach vorn und sich mit Gleichgesinnten umgeben, die auch vorwärtsschauen. Sie will Ziele erreichen und neue Ziele setzen.
»Menschen wie Lena treiben die Entwicklung voran«, sagt Papa. »Wenn alle wie ich wären, würde die Welt stillstehen und alles beim Alten bleiben. Auch die nicht so guten Dinge.«
»Wenn alle wären wie du, würden die Menschen weniger Zeit darauf verwenden, sich gegenseitig für mehr Macht, mehr Geld und mehr Landbesitz umzubringen«, wende ich ein.
Papa lacht amüsiert. »Ja, da ist sicher was dran. Bist du … schockiert? War es dumm, dir davon zu erzählen?«
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Das, was er gesagt hat, ist irgendwie noch nicht richtig bei mir angekommen. Mein ganzes Leben bin ich davon ausgegangen, dass die Scheidung meiner Eltern eine gemeinsame und gleichberechtigte Entscheidung war. Das war also nicht der Fall.
»Ich hab einfach drauflosgeplappert, ohne nachzudenken«, sagt Papa, nachdem das Schweigen sich einige Sekunden hingezogen hat. »Eigentlich wollte ich nur wissen, wieso du dich entschieden hast, bei mir zu bleiben. Das hat mich im Grunde immer gewundert, aber ich habe mich nie recht getraut, dich zu fragen, aus Angst, dass sich dann etwas ändert. Dass du womöglich deine Entscheidung bereust und es dir anders überlegst. Ich war so dankbar, verstehst du. Viel mehr, als ich es je gezeigt habe.«
Ich zucke mit den Schultern.
»Darauf kann ich dir keine konkrete Antwort geben«, sage ich. »Es war ganz selbstverständlich. Ich fand es schon immer einfacher mit dir als mit Mama. Bei Mama muss ich immer so tun, als wäre ich mehr, als ich bin, muss immer eine Rolle spielen. Sonst ist sie nicht zufrieden, habe ich das Gefühl. Ich glaube, genau das tut Edwin, auch wenn es ihm nicht bewusst ist.«
Papa nickt nachdenklich. »Ich weiß genau, was du meinst. Eigentlich kann Lena einem leidtun. Ich glaube nicht, dass sie das will.«
»Nein, sicher nicht«, sage ich. »Sie will, dass man so ist, wie sie es sich wünscht, aber ganz von sich aus.«
Kaum habe ich das gesagt, muss ich an Adrian und Ellinor denken. Genauso wie mit dem Motorrad. Ellinor möchte, dass Adrian aus eigenen Stücken lieber ein Auto will und nicht, dass er auf das Motorrad verzichtet, um ihr einen Gefallen zu tun. Aber das ist eine Gleichung, die nicht
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