Er ist der Freund meiner Freundin: Roman (German Edition)
ein prickelnder Besucher war, plötzlich in mich eingezogen. Nicht nur in einen Raum, sondern in jede Zelle, jede Faser. Kann man sich daran gewöhnen? Kann man mit so einem unerfüllten, alles sprengenden Gefühl in sich leben?
Ich muss.
Das macht mir Angst.
Ich bin glücklich, verrückt, fast euphorisch, aufgeputscht, jubelig aufgedreht und ich bin verzweifelt, wütend, traurig, unglücklich und gepeinigt.
Das geht vorüber, rede ich mir ein. Das ist eine Krankheit, die irgendwann vorbeigeht. Sie beruhigt sich, wird gelindert, so dass man damit leben kann. Man muss nur Geduld haben. Dem Krankheitsverlauf Zeit lassen und auf die Heilung warten.
Aber was, wenn die Krankheit unheilbar ist? Wie ein Krebsgeschwür, das immer weiterwächst und Metastasen bildet und mich irgendwann umbringt? Bin ich rettungslos verloren?
Ich lasse ein ganzes Tablett mit Mandeltörtchen fallen, gebe mehrmals falsch Wechselgeld heraus und vergesse Nachbestellungen, die mir auf meinen Gängen durchs Lokal zugerufen werden. Die einfachsten Vorgänge im Miranda fordern mir eine Konzentration ab, die ich nicht in der Lage bin aufzubringen. Ich fühle mich fiebrig, angeschlagen und verwirrt. Ich quäle mich durch den Tag, als wäre ich am Untergehen, strampele verzweifelt durchs eiskalte Wasser aufs Ufer zu und versuche, aus einem brennenden Haus zu fliehen, das keinen Ausgang hat.
Der Computer in meiner Wohnung hat begonnen, ein Eigenleben zu führen. Er glüht, die Tasten sind seine Haut, der Schirm seine Augen, mit dem Cursor berühre ich sein Gesicht, seine Lippen. Warum habe ich ihn nicht geküsst? Ich hatte diese eine Chance. Niemand hätte Schaden daran genommen, niemand hätte es je erfahren. Und ich hätte mich danach nicht mehr fragen müssen, wie es ist. Ich hätte eine konkrete Erinnerung gehabt, zu der ich zurückkehren und die ich aufsaugen kann, seinen Geschmack im Mund, einen lustvollen Raum, in den ich mich zurückziehen kann, wenn draußen der Sturm am wildesten wütet.
Wo kommen alle die Worte plötzlich her?
Warum spreche ich nicht einfach aus, dass ich verliebt bin?
Gewöhnlich, natürlich und banal.
Ich bin Single. Ich darf mich verlieben. In wen ich will.
Außer in Adrian.
Hörst du das, Adrian? In wen immer ich will!
Nur nicht in dich.
Adrian: Ich denke an dich, Emma. Viel. Glaubst du, wir können Freunde sein?
Ich starre sein kleines Foto an. Versuche, ihm eine nähere Erklärung abzuringen. Aber sein Gesicht ist unbeweglich eingefroren in dem lockenden und zugleich leicht posierenden Ausdruck.
Emma: Das waren wir doch bis jetzt auch. Warum sollen wir das nicht weiter sein können?
Wie erstaunlich nonchalant im Vergleich zu dem Gefühlssturm, der in mir rast. Aber was soll ich sonst antworten?
Adrian: Ich meine ENGE Freunde. Ich möchte dir gern weiter schreiben. Über alles mit dir reden. Es tut so gut, mit dir
zu reden, du gibst mir das Gefühl, absolut alles sagen zu
können. Bei Ellinor muss ich immer genau überlegen, was
ich sage, jedes Wort, sonst geht es schief.
Emma: Okay … klar.
Adrian: Tut mir leid, was ich dir eingebrockt habe. Mir selbst auch, wenn dir das ein Trost ist. Bin völlig durcheinander.
Emma: Das haben wir uns beide eingebrockt.
Adrian: Wahrscheinlich. Ich will Ellinor gegenüber fair sein. Ich will der ehrliche, zuverlässige Kerl sein, den sie sich wünscht. Ihr bewusst entgegenkommen.
Emma: Ich weiß. Das ist okay.
Adrian: Nichts ist okay! Aber wenn wir Freunde sein könnten, du und ich … uns tatsächlich dafür entscheiden und wie Freunde miteinander reden könnten und nicht wie … du weißt … Dann kapiert mein Gehirn es ja vielleicht endlich mal. Und der Rest auch, vielleicht … Scheiße, tut mir leid, Emma!
Emma: Mir auch.
Adrian: Freunde?
Emma: Freunde.
Danach ist Funkstille. Als wüsste keiner von uns, was er schreiben kann, ohne die Grenze der Freundschaft zu überschreiten. Wir können jetzt ja wohl schlecht über das Wetter oder die Weltwirtschaftskrise reden. Ich versuche, mich zu erinnern, worüber Markus und ich uns unterhalten. Über alles. Uns, unsere Beziehungen zu anderen und zwischen anderen, alles, was uns durch den Kopf geht, und Überlegungen zu irgendetwas, das einer von uns gelesen hat, oder ein Gedicht, das ich geschrieben habe … Alles. Und was nützt mir das? Nichts von alledem passt hier und jetzt. Nach einer Ewigkeit erscheint etwas von Adrian im Konversationsfenster.
Adrian: Okay. Bis irgendwann. Umarmung.
Emma:
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