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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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mir einen Freund wünschte, einen wahren Freund, der immer für mich da wäre. Das hatte ich ihm immer und immer wieder in der Beichte gestanden, die er irgendwann nicht mehr wie andere im Beichtstuhl, sondern in einem speziellen Beichtzimmer abhielt. Stellvertreter Gottes und Sünder waren wir dort in diesem Zimmer. Auge in Auge ich Sündenbeladene mit ihm, dem von Gott Berufenen.
    Im »innigen Gespräch«, wie er diese Minuten nannte, brachten wir Beichtkinder ihm unsere »Gaben«, legten ihm unser Herz dar und öffneten uns ihm als Ohr Gottes.
    Jeder in der Gruppe wusste, wie glühend ich ihn verehrte und bewunderte. Er wusste es auch. Aber ich konnte, durfte doch ihm, einem Mann Gottes, nicht sagen, dass ich mir wünschte, er selbst solle dieser wahre Freund für mich sein. Sobald ich den Mund aufmachen würde, würde er mich mit meinen eigenen Worten festnageln. Er würde mich tadeln, tadeln müssen. Schließlich war er etwas ganz Besonderes, Erhabenes, Unantastbares.
    Von dieser Unantastbarkeit des Priesters hatte ich schon als kleines Mädchen erfahren, da es in unserer Familie Priester gab und einer von ihnen mit einer Pfarrhaushälterin unter einem Dach lebte, die weder seine Mutter noch seine Schwester war. Gleichwohl schrieb sie ihm vor, welches Kleidungsstück er wechseln, wann er ins Bett müsse oder genug dem bei Tisch gereichten Wein zugesprochen habe.
    Mit gespitzten Ohren hatte ich zugehört, wenn in der Familie über diese Frau hergezogen wurde. Man zerriss sich den Mund, weil sie rosa Unterhosen und Spitzenbüstenhalter auf der Wäscheleine im Pfarrgarten trocknete, ohne sich um das Seelenheil des hohen Herrn zu scheren, der bei diesem Anblick doch ganz närrisch werden müsse. Von meinen Eltern wurde sie aber vor allem dafür gehasst, dass sie als ganz normale Frau zu einem Mann Gottes sprach, als ob dieser ein ganz normaler Mensch sei.
    Mir war also klar, dass ich mir dergleichen gegenüber Frederic nie erlauben dürfte. Nach allem, was ich zu Hause gelernt hatte, wie ich erzogen worden war, wäre es Anmaßung, fast Gotteslästerung gewesen, hätte ich, eine hundsgewöhnliche Zwölfjährige, zu unserem wunderbaren Vikar gesagt, dass ich mir wünschte, er sei mein Freund. Wenn Frederic nicht von sich aus wusste, wie sehr ich mir genau das wünschte, durfte ich es ihm niemals sagen.

    Ich weiß nicht mehr, wann er diesen kleinen Stoffhund aus dem Rucksack auspackte und mir in die Arme drückte. Er hoffte wohl, über diesen Hund wieder an mich heranzukommen. Ich hatte zu Hause nämlich einen ganz ähnlichen, meinen Schnuffi, von dem ich Frederic vorgeschwärmt hatte. Wahrscheinlich rechnete er damit, dass ich ihn so wieder an mich heranlassen würde. Er wusste ja aus unseren »innigen Gesprächen«, dass ich in meinem Schnuffi einen Seelentröster sah, dem ich das Halsband meines verstorbenen Haushundes angelegt hatte und alles anvertraute, was mich bedrückte. Irgendwann hatte ich Schnuffi sogar einmal zu Frederic mitgebracht.
    Dass er als erwachsener Mann jetzt auf einmal einen ganz ähnlichen Hund auf einer Urlaubsreise bei sich hatte, war schon etwas Besonderes für mich. Ein Geistlicher mit einem Schmusetier! Dass es das gab! Ich hätte sehr gern gewusst, ob er den Hund für mich gekauft oder bereits länger besessen hatte.
    Unter normalen Umständen, ohne diese schrecklich bedrückende Nähe und seine blöden Fragen, hätte ich also sicherlich wie erwartet reagiert. So aber war auch dieser Hund ein Zuviel an Nähe, das ich weder annehmen noch ablehnen konnte.

    Im Grunde hätte ich Frederic gern gesagt, wie sehr ich mich durch seinen kleinen Hund gerührt fühlte. Der Anblick ließ mich an meinen Schnuffi denken. Wie gerne wollte ich mich bei ihm ausweinen und alles Unverständliche abladen, was mir widerfahren war. Ich sehnte mich auf einmal wieder fast unerträglich, einfach nur still in die Arme genommen zu werden, brüderlich, freundschaftlich, väterlich vielleicht sogar am meisten.
    Aber auch das konnte, durfte ich auf Frederics seltsame Fragen nicht antworten. Wenn ich etwas Falsches von mir geben würde, würde er mich zur Strafe wieder links liegen lassen, wieder ignorieren, wieder andere vorziehen, mich wieder allein in meinem mir viel zu großen Leben lassen.
    Vielleicht gibt es Menschen, die gerne allein sind und sich dabei nicht alleingelassen fühlen. Ich jedenfalls habe immer schon gelitten, wenn ich alleine war, und Frederic wusste es. Mit ihm zusammen zu sein war das Größte

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