Er war ein Mann Gottes
für mich. Aber es war, wie einem Irrlicht übers Moor zu folgen.
Ich ahnte das in dieser langen Nacht, doch ich konnte es nicht ins Bewusstsein erheben oder gar darüber sprechen. So spürte ich auch, dass Frederic mir mit diesem Hund, der meinem so ähnlich war, sagen wollte, dass wir beide, er und ich, zusammengehörten und er mir mit dem Plüschtier eigentlich sich selbst ans Herz legte. Aber ich hatte mich total verschlossen.
Zwar nahm ich den Hund an mich, doch anstatt mit Frederic zu reden, ließ ich mich in totaler Erschöpfung zwischen all unserem Gepäck zu Boden sinken. Wortlos schob ich mir das Kuscheltier als Kissen unter den Kopf, machte die Augen zu und tat, als schliefe ich.
Selbst durch die geschlossenen Lider hindurch glaubte ich zu spüren, wie entgeistert Frederic mich anstarrte und mich am liebsten wachgerüttelt hätte. Aber das traute er sich nicht. Und so stellte er endlich seine schrecklichen Fragen ein.
Heiß und kalt
Schon am Tag nach unserer Rückkehr trafen Frederic und ich uns wieder, diesmal im Kreis meines gesamten Familienclans. Während meiner Abwesenheit hatte meine älteste Cousine ein Kind bekommen, dessen Taufe wir nun festlich begingen.
Frederic war der Platz mir direkt gegenüber und zugleich neben einem meiner Onkel zugewiesen worden, der für seine Begeisterung für »Flüssigbrot«, wie er sein Bier nannte, bekannt war. Wohl meinten meine Eltern, ihn durch die Gegenwart des Herrn Vikars im Zaum halten zu können. Dass sie den Bock zum Gärtner gemacht hatten, fiel ihnen erst auf, als Frederic ebenso blau wie mein Onkel war. Ich war nur froh, dass sie nicht sehen konnten, wie blau auch ich war, und zwar an meinen Schienbeinen unter dem Tisch, die Frederic den ganzen Abend mit seinen Füßen traktiert hatte.
Einesteils genierte ich mich, denn hätte eines meiner Familienmitglieder etwas davon bemerkt, wäre ich nicht ungeschoren davongekommen. Wie großzügig meine Eltern sein mochten, füßeln mit dem Vikar, nein, das hätten sie mir niemals durchgehen lassen. Ich habe keine Vorstellung, was sie getan hätten. Aber etwas wäre passiert, und es wäre schlimm gewesen.
Doch inzwischen wollte ich seine Tritte, Püffe und Zehenstreichler, die mich beim ersten Mal, damals am Nikolausfest, noch maßlos erschreckt hatten, nicht mehr missen. Mutiger war ich nicht geworden, aber Frederics Annäherungsversuche im Beisein meiner Familie hatten etwas Dramatisches, dem ich mich einfach nicht entziehen konnte. Eigentlich wünschte ich mir in diesen Momenten sogar, dass mein Vater es merken würde. Wie hätte er wohl gestaunt, dass seine »irgendwie verkehrte« Tochter, das »enfant terrible« der Familie, von unserem allseits bewunderten Vikar als etwas Besonderes auserwählt worden war.
Ich muss zugeben, es schmeichelte mir in diesem Moment ungemein, dass Frederic das Risiko der Entdeckung auf sich nahm, nur um mich in aller Heimlichkeit wissen zu lassen, dass er sich von all dem Geschwätz und scheinheiligen Getue ringsum gelangweilt fühlte und lieber mir nahe sein wollte als irgendeinem anderen Menschen in der Runde.
Für alle anderen war ich eine dumme Göre. Er dagegen hatte mich ausersehen, ein Geheimnis mit ihm zu teilen. Weder meine schöne Tante Isidora, die Gemeindehelferin, war dessen würdig noch meine Mutter, die hoch geschätzte Kirchenchorvorsitzende.
Wie jedes Mal, wenn Frederic mir durch seinen Wunsch nach Nähe Anlass zu der Hoffnung gegeben hatte, dass er mich besonders gern hätte, stürzte er mich wenig später in ein umso tieferes Tal der Tränen.
Als gelte es, das Zuviel an Nähe in Assisi und bei jenem Tauffest auszugleichen, ging er mir die nächsten Wochen aus dem Weg. Zu allen Früh- und Spätschichten war ich da. Ob beim Frühstück im Gemeindehaus oder auf einem der so genannten »Besinnungswochenenden« auf einer Waldhütte, ich war immer dabei. Ständig versuchte ich, einen Termin zum »innigen Gespräch« mit ihm zu bekommen oder wenigstens hin und wieder eines seiner schönen »Extrasätzle« zu ergattern. Vergebens. Ohne die geringste Erklärung hielt Frederic mich auf Abstand.
Zwar sprachen wir miteinander, doch nie allein und nie über irgendetwas Besonderes. Er war ganz der Vikar, der seine Zuwendung gleichermaßen auf jeden von uns verteilte. Dass er es dennoch jederzeit hätte möglich machen können, sich mit mir zu treffen, wenn er dies gewollt hätte, bemerkte ich daran, dass er sich trotz seiner knappen Zeit mit anderen Mädchen
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