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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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deshalb der Weg schnurstracks in unsere Stammkneipe am Kircheneck. Um für Frederic in Stimmung zu kommen, blieb mir eine knappe halbe Stunde. Erfahrungsgemäß trat der gewünschte Effekt am schnellsten mit Schnaps ein, Kirsch oder Mirabelle zum Beispiel. Die brannten nicht so im Hals, stiegen gleich zu Kopf und verpufften meist rechtzeitig wieder, bis ich daheim sein musste. Zur Not ließ sich das Schädelbrummen am nächsten Morgen während des Schulschlafs auskurieren.

    Die Tage in meinem Tagebuch, an denen ich jubelnd schrieb: »Bei ihm oben. War super!«, waren die Tage, an denen wir unsere Beichtstunde in ruhigem Gespräch verbrachten, obwohl ich »süß« war.
    An anderen Tagen vermerkte ich in Rot: »Es war das zweite Mal — das dritte Mal — das vierte Mal« und so fort. Zusätzlich umrandete ich manche dieser Eintragungen mit einem roten Stift und überschrieb auch das Datum ein zweites Mal rot.
    Es war mir wichtig, die Bedeutung dieser Tage in nur mir verständlicher Weise zu markieren. Rot stand für die Farbe der Liebe, die Zahl für die Anzahl unserer verbotenen Umarmungen. Mehrmals begann ich von vorn zu zählen. Ich allein wusste, dass jedes Mal, wenn ich wieder mit der Eins begann, wir einen der vielen Neuanfänge geschworen hatten. Geschworen nach dem Sündenfall.
    Manchmal schenkte Frederic mir nach der Beichte unserer abermaligen Sünde eine Kleinigkeit zur Erinnerung an unseren gemeinsam gelobten Neuanfang. Eine Kerze zum Beispiel. Ihr geweihtes Licht sollte mich auf den rechten Pfad führen.
    Und dann befahl er mir plötzlich, in der Öffentlichkeit wieder Sie zu ihm zu sagen.

Ich wollte sein, wie Frederic mich wollte

    Frederics Ansinnen, dass ich ihn künftig nicht mehr wie ein Kind mit Du ansprechen, sondern nach außen hin auf angemessene Distanz zu gehen und ihn zu siezen habe, kränkte mich schwer. Was war er für ein Freund, wenn er mich öffentlich verleugnete, obwohl er mir im geheimen Kämmerlein zeigte, wie wichtig ich ihm war?
    »Was bin ich für dich?« Jetzt hätte ich ihm diese Frage gern gestellt. Aber ich traute mich nicht. Ich hatte viel zu viel Angst vor der Antwort. Vielleicht hätte er geantwortet: »Nichts.«

    Ich merkte plötzlich, wie unendlich einsam ich war. Wenn ich Frederic nicht mehr hätte, wen hätte ich dann noch?
    Meine Eltern hatten wie immer genug mit sich selbst zu tun. »Wenn du weinst, kommst du in die Kammer!« Das war mir vom ersten Lebenstag an beigebracht worden. Ich kannte es nicht anders.
    Der einzige Mensch, zu dem ich von Frederic und mir zu sprechen wagte, war Franziska. Aber sie war ebenso ein Kind wie ich. Sie konnte nichts tun, wenn Frederic mich verlassen würde.
    Wenn die anderen »Minis« merkten, dass er sich meiner nicht mehr so annehmen würde wie bisher, würden sie mich links liegen lassen. Alle meine neuen Freunde wären mit einem Mal wieder weg. Keiner würde mich mehr in unsere Kneipe mitnehmen wollen. Keiner von den Großen würde mir nochmals eine Tüte drehen und mich daran ziehen lassen. In der Schule wäre ich wieder unten durch.

    Er fand ältere Mädels toll, also war ich dieses ältere Mädel für ihn geworden. Er schwärmte für Kurzhaarfrisuren, prompt hatte ich mein Haar abschneiden lassen, auf dessen Länge ich immer so stolz gewesen war. Ich hörte Musik, wie er sie liebte. Ich trank Alkohol, zu dem er mich verführte. Wenn andere Mädchen in meinem Alter Cola und Limo bestellten, ließ ich mir Likör und Cognac servieren. Ich rauchte, weil Zigaretten mich älter wirken ließen.
    Auf seinen Wunsch hin hatte ich mich als eine der wenigen von uns Ministrantinnen bereit erklärt, an den regelmäßigen Altennachmittagen der Kirche teilzunehmen und mich auch sonst um die alten Leute zu kümmern. Weil er es geil fand, trug ich die kürzesten Röcke im Ort und kaufte mir ein Kleid mit Dekollete bis zum Nabel. Wahrscheinlich würde ich in die Annalen der Ferienlagerchronik der katholischen Jungschar eingehen, weil ich die wohl einzige Teilnehmerin war, die je in einem hautengen Leopardenmusterminikleid zur Zeltlagerparty gekommen war.
    In der Schule war ich so schlecht wie niemand anderes. Das einzige Fach, in dem ich ein >Sehr gut< erhielt, war Religion. Meine gesamte Freizeit wurde von kirchlichen Dingen bestimmt. Wenn Frederic wollte, lud ich sogar seine Sünden auf mich und machte sie zu den meinen. Für ihn nahm ich die Pille.
    Trotzdem durfte kein Mensch etwas davon merken. Für alle anderen gab ich die ganz normale,

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