Er war ein Mann Gottes
unter dem Ansturm der Hormone total ausgeflippte Frühreife, die sich an keine Regeln halten wollte und ihren bedauernswerten Eltern auf der Nase herumtanzte. Seinetwegen, zu seiner Sicherheit und ihm zu Gefallen war ich vom Klassenclown zum allseits bekannten »verrückten Huhn« mit Alkoholproblemen geworden.
Und jetzt auf einmal wollte Frederic, dass ich ihn, für den ich mich völlig aufgegeben hatte, wieder zum Fremden machen sollte. Nicht einmal mehr Du sollte ich zu ihm sagen dürfen.
Wer war ich denn dann noch, wenn ich nicht mehr durch ihn vor den anderen Mädchen ausgezeichnet wurde? Ihn siezen zu müssen hieß unsere Freundschaft verraten, für die ich alles getan und alles gegeben hatte. Mehr noch, es raubte mir mein ganzes Leben, das sich wie Efeu um den Baum geklammert hatte. Ich konnte das nicht ertragen. Ich brauchte Frederic. Er musste mein Freund bleiben. Irgendwie musste ich ihn dazu zwingen.
Zehn Tage lang wich ich Frederic aus. Ich war wütend, verletzt. Sollte er doch sehen, was er davon hatte, wenn ich nicht mehr käme. Sollte er doch eine andere suchen, die alles für ihn machte.
Schon diesen letzten Gedanken konnte ich nicht zu Ende denken. Frederic und das Mädchen mit dem Hund. Frederic und das Mädchen am Fluss. Frederic und seine Passbild-Pinn-Wand. Frederic mit Estefanie. Ich hielt das nicht aus.
»Selber schuld«, sprach es aus meinem Innern. »Hättest du den Mund gehalten. Hättest du ihn nur nicht so enttäuscht.«
Am Ende der zehn Tage glaubte ich zu wissen, dass Frederics Befehl, ihn künftig öffentlich zu siezen, die Strafe dafür war, dass ich mit dieser Frau im Zug über uns gesprochen hatte. Und hatte er nicht eigentlich recht? Ich wusste doch, dass er bestraft werden würde, wenn es herauskäme.
Die Situation des Priesters in meiner Familie, der mit einer Haushälterin lebte, die nicht mit ihm verwandt war, wurde oftmals bei uns diskutiert. Daher wusste ich, dass ein Priester, dessen geheimes Doppelleben bekannt wird, sein Amt verliert. Für Frederic wäre das das Schlimmste.
Nur deshalb schärfte er mir doch immer wieder ein, nur ja niemandem ein Wort darüber zu verraten, dass wir echte Freunde seien. Der Papst verlange, dass ein Priester für alle gleich da sein müsse. Aber das sei nicht der wahre Wille Gottes. Jesus Christus selbst habe einen liebsten Jünger gehabt, den er seiner Mutter vom Kreuz herunter als Sohn anvertraut habe. Deshalb werde Gott uns verzeihen, dass er, Frederic, mich als seine liebste Jüngerin angenommen habe. Der Papst würde es nicht verzeihen.
Sobald es herauskäme, dass wir beide »eine ganz besonders innige Freundschaft« hätten, würde er aus dem Amt scheiden müssen und »alles, aber auch alles verlieren, was ich gern habe. Vor allem dich.«
Was das bedeutete, war mir klar. Würde Frederic mich verlieren, würde auch ich ihn verlieren. Daran wollte ich nicht einmal denken. Es war klar, dass ich keinem etwas davon sagen durfte. Und doch hatte ich es getan. Sogar öfter als einmal. Franziska und meinem Vater hatte ich verraten, dass Frederic mein bester Freund war. Das jedoch wagte ich ihm nicht zu beichten, obwohl beide mir im Innersten so nah waren.
Mein Vater fand es sogar gut, dass ich einen solchen Menschen zum Freund gewonnen hatte. Wenn ich abends nochmals zu Frederic ging und mein Daddy es bemerkte, blinzelte er mir zu und fragte ganz leise: »Na, gehst du wieder zu deinem Freund Frederic?« Als ob wir zwei Verschwörer wären. Ich hatte ihn jedes Mal furchtbar lieb dafür.
Als Frederic mich dann nach diesen zehn einsamen Tagen in der Betstunde fragte, ob ich zu ihm kommen wolle, zitterte ich am ganzen Leibe vor Glückseligkeit und sagte: »Ja.«
Fluch des Messweins
Ich ging an diesem Tag sogar zwei Mal zu Frederic. Beim ersten Mal war es wunderbar, mit ihm in seinem Zimmer zu sitzen, Kaffee zu trinken, Kekse zu knabbern und zu reden, nur zu reden. Wie es in der Schule gehen würde, ob Franziska immer noch meine beste Freundin sei, was ich in den letzten Tagen alles angestellt habe, ob ich mir immer noch einen neuen Hund wünschte. Frederics Fragen taten mir so gut. Niemand sonst fragte mich, was ich erlebte, dachte und wünschte. Ich spürte, dass er mein wahrer Freund war. Was spielte es denn für eine Rolle, ob ich draußen nun Sie oder Du zu ihm sagte? Wie immer ich ihn anredete, er würde für mich bleiben, was er immer war.
So zögerte ich keine Sekunde, als Frederic mich bat, nach der Spätschicht noch einmal
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