Er war ein Mann Gottes
zu erkennen, war es ebenfalls gewesen.
Hieß das, dass ich ihm verzeihen könnte? Ich erstarrte vor meiner eigenen Frage. So weit wollte ich nicht denken.
Lieber las ich die Karte von Max nochmals. »Wenn ich dein Schmetterlingsprinz bin, dann passt der Platz an deinem Spiegel sehr gut zu mir. Da weiß ich, dass du mich jeden Tag mindestens morgens und abends anschaust.«
Von diesem Tag an hing die Karte an meinem Spiegel. Jahrelang. Und jeden Tag geküsst. Natürlich nur ganz zart. Nicht einmal die Farbe der Lippen verblasste von diesen Küssen.
Seelenbilder aus dem Knast
Die Aufmachung der Briefe wurde immer liebevoller. Sein Psychologe hatte ihn zum therapeutischen Zeichnen angeregt. Die dabei entstandenen Bilder aus dem Innersten der Seele, wie Max sie bezeichnete, zierten bald schon fast alle Briefumschläge und Briefbögen und überbrachten mir weitere hoffnungsvolle Botschaften. Mal war es ein knallroter Paradiesapfel, der zwar etwas aus der Fasson geraten, dafür aber mit einer goldenen Gloriole umgeben war. Ganz offensichtlich hatte Max ihn von einer Karte abgezeichnet, die er mir ohne Kommentar schickte. Der Text darauf war ein Liebesgedicht aus der Bibel : »Wer liebt, der gibt niemals jemanden auf.« Es schien mir Aufforderung und Geständnis zugleich.
Ein andermal segelte ein Schiffchen mit einem Liebespaar der aufgehenden Sonne entgegen. Zwei Vögel segelten darüber hin. Für mich war klar, Max träumte von unserem Urlaub in Tunesien am blauen Meer.
Wieder ein anderes Bildchen zeigte einen Fesselballon über einer Hütte in den Bergen mit zwei darauf zugehenden Wanderern. Darin sah ich eine Anspielung auf die Liebe, die Max zum Ballonfahren hegte. Als Gondoliere hatte er sogar irgendein Zertifikat und einen adligen Namen errungen, den ich vergessen habe. Obwohl ich Angst hatte, war versprochen, dass er mich einmal auf große Fahrt mitnehmen würde.
Manchmal prangten in einer Couvertecke zwei Sterne auf nachtblauem Himmelsgrund, die mich daran erinnern sollten, beim realen Anblick eines bestimmten Sterns an Max zu denken. Jede dieser Idyllen entsprang seinen romantischen Urlaubsträumen mit mir. Ich las auch unseren glücklichen Neuanfang zu zweit darin.
Seine »Bezugsperson«, schrieb er mir, habe ihm Wasserfarben geschenkt. Nun wolle er sich in der Therapie als Aquarellmaler versuchen. Seine »Bezugsperson« male auch. Sie könne ihm vieles vermitteln. »Sie«. Damals bezog ich die weibliche Form nicht auf den Menschen, sondern auf die Bezeichnung »Bezugsperson«. Makaber, dass die Bilder, die Max mir sandte, wohl unter der Anleitung seiner Freundin entstanden und dann ausgerechnet seine Liebesbriefversuche an mich schmückten.
Gelegentlich kamen Bildwerke von ihm an, die ich mir gar nicht oder nur unter Zweifeln auslegen konnte. Eines davon bestand aus einem käsescheibenartigen Haus ohne Dach, das von einem dahinter angeordneten Käseblock mit Dach abgeschnitten war. Das Haus besaß ein windschiefes, hell erleuchtetes Fenster sowie eine Tür ohne Klinke. Ringsum drohte dunkelblaue, sternenlose Nacht. Im Fenster erblickte man die Andeutung einer schwarzen Silhouette, die durch ihren nach außen fallenden Schatten als schwarz gekleideter Mann zu identifizieren war.
Gut anderthalb Haftjahre hatte Max zum Zeitpunkt des zugehörigen Briefes bereits hinter sich. Deshalb legte ich mir das Käsehaus als sein Seelenhaus aus. Es hatte weder Grundmauern noch andere feste Mauern, sondern bestand aus einem windigen Stück Lochkäse, das sich soeben von dem festen Blockkäse abgetrennt hatte. Die Bildaussage verstand ich so, dass Max sich von dem finstern Kasten der Kirche abgetrennt, aber nicht weit entfernt hatte und sich in seinem Haus ohne Dach noch ganz ungeschützt fühlte. Neugierig auf das Leben stand er am Fenster, traute sich aber nicht ins Leben hinaus und wollte auch keinen zu sich hereinlassen. Deshalb der fehlende Türgriff. Ich fand, das Bild drücke Neugier auf das Leben außerhalb des Zölibats und zugleich Lebensangst aus.
Wie immer fehlte mir der Mut, Max persönlich nach dem Sinn seiner Zeichnungen zu fragen. Womöglich sollten sie gar nichts Besonderes bedeuten und ich geheimniste etwas Dummes hinein. Lieber schwieg ich darüber und ließ Max bloß wissen, dass ich sie schön fand. Um nichts in der Welt wollte ich das zarte Pflänzchen seines Vertrauens in mich erschüttern. Im Grunde zählte doch nur, dass Max mir zu diesen Bildern schrieb: »Alles ein Stück aus meiner
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