Eragon 04 - Das Erbe Der Macht
feuchte Stelle auf ihrem Hemd prangte, wo bei der letzten Mahlzeit ein paar Tropfen gewässerten Weins danebengegangen waren.
Warum ist er so bald wiedergekommen?
Der Mut verließ sie, als der Mann mit einem großen Kupferbecken voll Holzkohle an ihr vorbeiging und es einige Fuß entfernt von ihrer Steinliege aufstellte. In der Holzkohle lagen drei lange Eisen.
Der Augenblick, vor dem sie sich so gefürchtet hatte, war also gekommen.
Sie versuchte, Blickkontakt mit ihm aufzunehmen, aber der Mann vermied es, sie anzusehen, während er Feuerstein und Stahl aus einem Beutel an seinem Gürtel zog und ein Nest klein geschnittenen Zunders in der Mitte des Kohlebeckens anzündete. Funken glühten auf und breiteten sich aus, dabei leuchtete der Zunder wie ein Ball aus rot glühenden Drähten. Der Mann bückte sich, schürzte die Lippen, blies in die zarte Glut – sanft wie eine Mutter, die ihr Kind küsst – und die Funken erhoben sich zu tanzenden Flammen.
Minutenlang kümmerte er sich um das Feuer, bis die Glut eine mehrere Zoll dicke Schicht Kohlen erfasst hatte und der Rauch hoch aufstieg. Sie beobachtete ihn krankhaft fasziniert, außerstande, den Blick loszureißen, obwohl sie wusste, was sie erwartete. Sie schwiegen beide. Es war, als schämte sich jeder zu sehr für das, was geschehen würde, um es auszusprechen.
Er blies wieder in die Kohlen, dann drehte er sich um, als wolle er auf sie zukommen.
Gib nicht klein bei, sagte sie sich und machte sich steif. Sie ballte die Fäuste und hielt den Atem an, während der Mann auf sie zukam … näher … näher …
Ein federleichter Luftzug strich ihr übers Gesicht, als er an ihr vorbeiging, und sie lauschte auf seine Schritte, die langsam verklangen, während er die Stufen hinaufstieg und den Raum verließ.
Sie stieß ein schwaches Keuchen aus und entspannte sich ein wenig. Die glühenden Kohlen zogen ihren Blick an wie Magnete. Ein matter rostfarbener Schimmer kroch die Eisenstäbe hinauf, die aus dem Kohlebecken ragten.
Sie befeuchtete sich den Mund und dachte, wie gut ein Schluck Wasser wäre.
Eine der Kohlen sprang entzwei, aber ansonsten war es still im Raum.
Da sie in ihrer Lage weder kämpfen noch fliehen konnte, versuchte sie, an gar nichts zu denken. Denken würde ihre Entschlossenheit nur schwächen. Was immer geschah, würde geschehen, ohne dass ihre Angst etwas daran ändern konnte, wie groß sie auch sein mochte.
Wieder hallten Schritte durch den Flur. Diesmal waren es mehrere Personen, von denen einige im Gleichschritt marschierten und andere nicht. Wie viele es waren, war jedoch wegen des lärmenden Echos ihrer Schritte unmöglich zu sagen. Die Prozession blieb an der Tür stehen und sie hörte Stimmen murmeln. Dann betraten zwei Personen mit klappernden Schritten – Reitstiefel mit harten Sohlen, vermutete sie – den Raum.
Die Tür schloss sich mit einem dumpfen Schlag.
Die Schritte kamen die Treppe herunter, ruhig und bedächtig. Sie sah den Arm von jemandem, der am äußersten Rand ihres Gesichtsfelds einen geschnitzten Holzstuhl auf den Boden stellte.
Ein Mann setzte sich darauf.
Er war massig: nicht dick, aber breitschultrig. Um seine Schultern lag ein langer schwarzer Umhang. Der Umhang sah schwer aus, als sei er mit einem Kettenpanzer verstärkt. Das Licht von der Kohle und von der flammenlosen Laterne ließ die Umrisse des Mannes golden erstrahlen, aber seine Gesichtszüge blieben im Dunkeln verborgen. Die Konturen der spitzen Krone auf seinem Haupt waren dagegen klar zu erkennen.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Mit einiger Mühe nahm es sein vorheriges schnelles Tempo wieder auf.
Ein zweiter Mann, bekleidet mit weinroter Jacke und Hose – beides mit Goldfäden besetzt –, ging zum Kohlebecken hinüber und blieb dort mit dem Rücken zu ihr stehen, während er mit einem der Eisenstäbe die Glut anfachte.
Der Mann auf dem Stuhl zog an den Fingern seiner Handschuhe. Dann streifte er sie ab. Darunter hatten seine Hände die Farbe von mattierter Bronze.
Als er sprach, war seine Stimme leise, ihr Klang tief und befehlsgewohnt. Jeder Barde mit einem solch wohlklingenden Organ wäre überall im Land als Meister der Meister gerühmt worden. Beim Klang der Stimme bekam sie eine Gänsehaut. Die Worte schienen über sie hinwegzuspülen wie Wellen warmen Wassers, sie zu liebkosen, sie zu betören, sie zu binden. Diesem Mann zuzuhören, begriff sie, war genauso gefährlich, wie Elva zuzuhören.
»Willkommen in Urû’baen, Nasuada,
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