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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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zu verlieren, wenn sie sich zu schnell umstellte, hielt sie zurück. Und so saß sie auf dem Boden, als die Stimme der Frau zum zweiten Mal Schockwellen durch ihren Körper sandte. Sie reagierte auf den Ton wie ein Messinstrument, das zu kräftig ausschlägt. Mit jedem Wort zuckte ein Stoß durch sie hindurch. Und die Worte waren entsetzlich.
    »Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag, Merete. Gratulation zu zweiunddreißig Jahren. Ja, heute ist der 6. Juli. Du hockst jetzt hier seit hundertsechsundzwanzig Tagen, und das ist unser Geburtstagsgeschenk: Das Licht wird von nun an ein Jahr lang eingeschaltet bleiben. Es sei denn, du kannst uns diese eine Frage beantworten: Warum haben wir dich in dieses Verlies gesperrt?«
    »Oh Gott, nein! Das können Sie mir nicht antun«, stöhnte sie. »Warum tun Sie mir das alles an?« Sie stand auf, hielt sich die Hände vor die Augen. »Wenn Sie mich töten wollen, dann tun Sie es jetzt«, schrie sie.
    Die Frauenstimme war eiskalt. Etwas tiefer vielleicht als beim letzten Mal. »Ruhig, Merete. Wir wollen dich nicht töten. Wir wollen dir im Gegenteil Gelegenheit geben, zu verhindern, dass es für dich immer schlimmer wird. Du musst nur deine eigene Frage beantworten: Warum halten wir dich wie ein Tier in einem Käfig? Die Antwort musst du selbst finden, Merete.«
    Sie legte den Kopf in den Nacken. Was war das hier für ein Albtraum? Selbst wenn sie die Kraft zum Sprechen gehabt hätte - vielleicht sollte sie besser schweigen. Sich in eine Ecke setzen und sie reden lassen, was sie wollten.
    »Du musst antworten, Merete, sonst bist du selbst schuld daran, wenn es immer schlimmer wird für dich.«
    »Ich weiß doch nicht, was Sie von mir hören wollen! Geht es um die Politik? Geht es Ihnen um Geld? Ich weiß es doch nicht, Herrgott. Sagen Sie es mir!«
    Die Stimme unter dem schwachen Krächzen wurde noch kälter. »Du hast die Probe leider nicht bestanden, Merete. Darum ist nun die Strafe fällig. Sie ist nicht so hart, du wirst sie leicht bewältigen.«
    »Oh Gott, ich glaube das alles nicht«, schluchzte Merete und sank auf die Knie.
    Da hörte sie, wie das wohlbekannte Zischeln von der Schleuse zu einem flüsternden Pfeifen wurde. Auf der Stelle spürte sie, wie die laue Luft von draußen zu ihr hereinströmte. Sie duftete nach Getreide und Ackerboden und grünem Gras. Das sollte eine Strafe sein?
    »Wir erhöhen lediglich den Luftdruck in deiner Kammer auf zwei bar Überdruck. Dann müssen wir sehen, ob du in einem Jahr schlauer bist. Wir wissen nicht genau, welchen maximalen Luftdruck der menschliche Organismus aushält. Aber das finden wir mit der Zeit schon gemeinsam heraus.«
    »Lieber Gott«, flüsterte Merete, als sie den Druck auf den Ohren spürte. »Lass das alles nicht wahr sein. Bitte, lass es einfach nicht wahr sein.«
     

Kap 17 - 2007
     
    Schon auf dem Parkplatz hörte Carl die munteren Stimmen. Sie hätten ihn vorwarnen können. Bei ihm zu Hause im Reihenhaus war was los.
    Die Grillgang war eine kleine Gruppe fanatischer Anhänger von angesengtem Muskelfleisch, die in seiner nächsten Umgebung wohnten. Sie waren einhellig der Meinung, dass Rindfleisch viel besser schmeckte, wenn es erst so lange auf einem verkohlten Rost gelegen hatte, bis es weder nach Rind noch nach Fleisch schmeckte. Sobald sich eine Gelegenheit ergab, trafen sie sich, und zwar das ganze Jahr über, und am liebsten auf Carls Terrasse. Er mochte die Gang. Sie waren auf angenehm kultivierte Weise ausgelassen und nahmen immer die leeren Flaschen mit nach Hause.
    Kenn, ihr bewährter Grillmeister, empfing ihn mit einer herzlichen Umarmung, ein anderer drückte ihm eine gut gekühlte Dose Bier in die Hand, der dritte legte ihm eines von diesen schwarzen Fleischbriketts auf den Teller. Als er ins Haus ging, spürte er ihre wohlmeinenden Blicke im Rücken. Wenn er demonstrativ schwieg, fragten sie nie nach - das gehörte zu den Dingen, die er so sehr an ihnen schätzte. Wenn ein Fall in seinem Hirn rumorte, wäre es leichter, einen kompetenten Lokalpolitiker aufzutreiben, als mit Carl in Kontakt zu treten, das wussten sie alle. Aber diesmal war es kein Fall, der sein Hirn mit Beschlag belegte. Dort war zurzeit nur Platz für Hardy.
    Denn Carl war tatsächlich hin- und hergerissen.
    Vielleicht musste er über Hardys Wunsch doch noch mal gründlich nachdenken. Eine Methode, Hardy umzubringen, ohne dass anschließend jemand Fragen stellte, würde sich ja ohne weiteres finden. Eine Luftblase im

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