Erbarmen
Tropf, eine feste Hand über seinem Mund. Es würde schnell gehen, denn Hardy würde ja nicht kämpfen.
Aber konnte er das? Und wollte er das wirklich tun? Scheiße.
Helfen oder nicht helfen? Und was war denn für Hardy die »richtige« Hilfe? Vielleicht würde es ihm mehr helfen, wenn Carl die Arschbacken zusammenkniff und zu Marcus hinaufging und verlangte, dass der ihm seinen alten Fall wieder übertrug. Ihm war es doch scheißegal, mit wem er zusammenarbeiten musste. Und letztlich war es ihm genauso schnurz, was
die
dazu sagten. Wenn er Hardy damit helfen würde, dass sie die Teufel einbuchteten, die draußen auf Amager auf sie geschossen hatten, würde er das sofort tun. Ihm persönlich war der Fall zuwider. Wenn er diese Schweine fände, würde er sie einfach nur abknallen. Und wem würde das nützen? Ihm jedenfalls nicht. Und Hardy auch nicht.
»Carl, hast du vielleicht einen Hunni für mich?« Wer anders als Jesper würde sich in so einem Moment in seine Gedanken drängen. Ganz offenkundig war er schon halb zur Tür hinaus. Wenn sie Jesper einluden, das wussten seine Kumpel in Lynge ganz genau, dann war die Chance groß, dass dabei ein paar Biere raussprangen. Jesper hatte hier im Viertel Freunde, die das Bier kastenweise an die verkauften, die noch keine sechzehn waren. Das kostete sie zwar ein paar Kronen mehr, aber was machte das schon, wenn man seinen Alten überreden konnte, für den Spaß aufzukommen?
»Ist das nicht diese Woche schon das dritte Mal ?«, fragte Carl und zog einen Schein aus dem Portemonnaie. »Und egal wie, aber morgen gehst du in die Schule, ist das klar?«
»Ist klar.«
»Und du hast deine Hausaufgaben gemacht?« »Ja ja.«
Also nicht. Carl runzelte die Stirn.
»Komm schon, Carl. Ich hab keine Lust, nach Engholm in die Zehnte zu wechseln. Ich werde die Oberstufe in Allerød schon schaffen.«
Ein schwacher Trost. Dann musste er also auch noch ein Auge darauf haben, dass der Junge die Oberstufe im AllerødGymnasium schaffte.
»Halt dich wacker«, rief Jesper auf dem Weg zum Fahrradschuppen noch.
Das war leichter gesagt als getan.
»Bedrückt dich die Lynggaard-Geschichte, Carl?« Morten sammelte die letzten Flaschen ein. Er ging nie nach unten, ehe nicht die Küche wieder blitzblank war. Er kannte seine Pflichten und seine eigenen Grenzen. Wenn also etwas in Ordnung gebracht werden musste, dann hier und jetzt.
»Ich denke vor allem an Hardy. Der Fall Lynggaard beschäftigt mich gar nicht so sehr. Die Spuren sind inzwischen kalt, und kein Schwein interessiert sich noch einen Dreck dafür. Inklusive meiner Wenigkeit.«
»Ja, aber der Fall ist doch aufgeklärt, oder?«, nuschelte Morten. »Ist die nicht ertrunken? Was kann man denn da noch raus finden ?«
»Hmm. Also ich frage mich schon, warum sie ertrunken sein soll. Es gab an dem Tag weder Sturm noch hohe Wellen, und sie war allem Anschein nach gesund. Ihre wirtschaftliche Situation war in Ordnung, sie sah gut aus. Alles deutete darauf hin, dass sie eine glänzende Karriere vor sich hatte. Vielleicht war sie ein bisschen einsam, aber früher oder später hätte sich das doch sicher auch noch gefügt.«
Er schüttelte den Kopf. Wem versuchte er da eigentlich etwas vorzumachen? Sich selbst? Natürlich interessierte ihn die Sache! Alle Fälle, bei denen sich die Fragen dermaßen auftürmten, interessierten ihn.
Er zündete sich eine Zigarette an und griff nach einer Dose Bier, die ein Gast zwar geöffnet, aber nicht getrunken hatte. Das Bier war lau und schmeckte schon ein bisschen schal.
»Was mich daran am meisten irritiert, ist ihre Intelligenz. Mit Opfern, die so klug sind wie sie, ist es immer schwer. Wenn ich das richtig sehe, hatte sie doch gar keinen Grund, sich umzubringen. Keine offensichtlichen Feinde. Ihr Bruder liebte sie. Warum also verschwand sie? Würdest du, Morten Holland, mit diesem Hintergrund vielleicht in die Fluten springen?«
Der sah Carl mit roten Augen an. »Carl. Es war ein Unglück. Ist dir etwa noch nie schwindlig geworden, wenn du dich über die Reling gebeugt und ins Wasser gestarrt hast? Und falls es doch Mord gewesen sein sollte, dann war es ihr Bruder. Oder irgendwas Politisches. Wenn du mich fragst. Sollte ausgerechnet eine zukünftige Parteivorsitzende der Demokraten, die noch dazu so phantastisch aussieht, etwa keine Feinde haben?« Er nickte schwerfällig, bekam fast den Kopf nicht wieder hoch. »Alle haben sie gehasst, siehst du das denn nicht? Alle in ihrer eigenen Partei, an
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