Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
schlechten Geschmack hinterlassen. Bier vor dem Schlafengehen bekam ihr nicht, Gumbosuppe noch weniger. Das hatte sie zwar gewusst, sich aber nicht daran gehalten. Jetzt hoffte sie, dass in ihrem Badezimmerschrank eine Mundspülung stand. Sie konnte sich nicht erinnern.
Sie öffnete ihre Augen und merkte, dass sie auch nicht geradeaus blicken konnte. Der Schmerz, der sie durchzuckte, als sie sich mit dem falschen Arm abstützte, machte sie vollends wach. Eine Minute lang massierte sie den Muskel, mehr fasziniert von der horizontal über ihren Trizeps verlaufende Narbe als von der Bewegung ihrer Finger, die eher nicht für Erleichterung sorgten. Nun ja, um das, was ihr tatsächlich Erleichterung verschaffte, brauchte sie zumindest nicht zu beten – sie hatte noch genug Schmerzmittel, auch wenn sie mehr nahm, als auf der Packung stand.
Kyra drehte sich zur Seite, stieg aus dem Bett und zog die Vorhänge zur Seite. Es schneite noch immer. Sie schaltete den kleinen Fernseher auf ihrer Kommode ein.
Die Zentralstelle für Personalbewirtschaftung der amerikanischen Regierung hat auch dieses Mal die Behörden nicht geschlossen und stattdessen angeboten, dass diejenigen freinehmen könnten, die genug Überstunden angehäuft hatten. Kyra brachte die Kraft nicht auf, den Leiter der Zentralstelle zu verfluchen. Das wollte sie nach der Dusche erledigen.
Das Telefon auf ihrem Nachttisch klingelte. Ein paar Sekunden vergingen, bis Kyra sich aufraffen konnte. »Hallo?«, meldete sie sich.
»Vielleicht kommen Sie eher früher als später her«, sagte Jonathan. »Jemand hat in Taiwan ein Kraftwerk in Trümmer gelegt. Cooke möchte, dass wir zu ihr ins Büro kommen.«
Zwanzig Minuten später saß Kyra in ihrem Wagen und fuhr angesichts der Wetterverhältnisse viel zu schnell in Richtung Osten.
Büro der CIA-Direktorin
»Wir wissen immer noch nicht genau, wie die Chinesen es angestellt haben«, begann Cooke ohne einleitende Worte. Eine Grundregel war, Analysten nicht einfach so in ihr Büro zu bestellen, doch das Gespräch mit Jonathan am Tag zuvor hatte in ihr das Verlangen nach einem Wiedersehen geweckt, was sie aber nach außen hin nicht zugeben konnte. Sie war einem selbstsüchtigen, unprofessionellen Impuls gefolgt, nachdem sie ohnehin schon schwach geworden war.
Cooke legte die Satellitenbilder auf den Tisch. Kyra griff sich eines. Auf dem hochauflösenden Infrarotbild war ein großer Krater zu sehen, um den herum es an einigen Stellen noch immer brannte. Durchtrennte elektrische Leitungen wölbten die Erde nach oben. Bald würden sie mehr Bilder aus der Einsatzzentrale erhalten. Wenn in den nächsten Stunden die Farbe der Flecken von Rot nach Blau wechselte, was ein Abkühlen der Flächen bedeutete, würden sie es wissen.
»Sie vermuten, es war die Volksbefreiungsarmee«, sagte Jonathan.
»Besteht die Möglichkeit, dass es sich um einen Betriebsunfall handelt?«, fragte Kyra.
»Ich wünschte es«, antwortete Cooke. »Wir haben ein paar Fachleute hingeschickt, aber ich bin ziemlich sicher, dass in einem Kraftwerk nichts passieren kann, das zu einem solchen Explosionsmuster führt. Und in Anbetracht des Zeitpunkts wäre es ein erstaunlicher Zufall.«
»Geht es nur um diesen einen Ort?«, erkundigte sich Jonathan.
»Die Nationale Sicherheitsbehörde hat von keinen weiteren Angriffen auf das Stromnetz berichtet«, bestätigte Cooke. »Und einer reicht. Mir wurde gesagt, das Kraftwerk Taishan sei das größte. Vierundsechzigtausend Watt. Als TaiPower damit ans Netz ging, haben sie die kleineren Werke in Taiwu, Luguang und Chuangjiang geschlossen, um die Kosten zu senken. Ich wette, das bereuen sie jetzt.«
»Ohne Zweifel«, stimmte Jonathan zu.
»Das ist ein großes Loch«, stellte Kyra fest. »Luftangriff?«
»Die Marineaufklärung sagt, die Radaraufzeichnungen für chinesische Militärflugzeuge und Marschflugkörper seien negativ«, erklärte Cooke. »Die einzigen Flugzeuge in der Region waren die der taiwanischen Fluglinie und der Luftwaffe. Alle MiGs der Volksbefreiungsarmee befanden sich weit außerhalb des Zielgebiets.«
»Es könnte die Arbeit einer Pioniereinheit sein«, schlug Jonathan vor. »Gott und Tian allein wissen, wie viele Spione China in Taipeh eingeschleust hat. Semtex oder C-4 könnten ein Loch in dieser Größe in den Boden sprengen, aber dazu bräuchte man eine ganze Menge davon. Der Krater ist bestimmt drei Meter tief. Dazu müsste zu viel Material per Hand reingetragen werden.«
»Eine
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