Erbe des Drachenblutes (German Edition)
Überall blühten Blumen in Farben, die das ganze Spektrum des Regenbogens wiedergaben, und alle Menschen wirkten glücklich und entgegenkommend. Hier hätte er gerne seine Kindheit verbracht, aber es war ihm nicht bestimmt gewesen.
Nirvan hatte inzwischen gelernt, dass das Reich der Drachentochter nach außen hin in einer harmonischen Ordnung erschien. Aber das Land der vereinten Völker war groß, und es gab viele Regionen, in denen die Landvorsteher taten, was ihnen beliebte, ohne dass die weiße Regentin davon wusste. Aber war es nicht ihre Schuld, dass es überhaupt so weit gekommen war? Hatte sie sich nicht zu wenig um die Randgebiete ihres Reiches gekümmert? Wann hatte sie ihren Palast schon verlassen, um nach den Ärmsten der Armen zu sehen? Nirvan war all die Jahre überzeugt gewesen, dass sie die Hauptschuld an seinem Schicksal trug, direkt gefolgt von seinem verräterischen Vater, der sich seiner Verantwortung einfach entzogen hatte. Heute war er es sich in nichts mehr sicher.
Damals hatten die Soldaten ihn und seine Mutter nach einigen Tagen Aufenthalt im örtlichen Gefängnis von Laguz in den Hafen der Fügung geschafft, einem kleinen, traurigen Abklatsch eines Bootsanlegestegs. Der Hafen lag westlich von Laguz und hatte nur einen Zweck: als Sammelstelle von verurteilten Verbrechern zu dienen. Hatte man genügend zusammen, wurden sie mit einem Gefangenenschiff an einen Küstenabschnitt des dunklen Kontinents gebracht, der genau auf der Abschlusslinie der magischen Kuppel lag. Dort konnte man gefahrlos ankern, um die Verbannten vom Boot zu treiben. Sie wurden einfach ausgesetzt, und wenn sie nicht verhungern wollten, mussten sie ins Landesinnere ziehen – und somit hinein in den Bannkreis der göttlichen Schutzkuppel. Das hatten auch Marija Zinnerbaum und ihr Sohn getan. Nach zwei Tagen des Ausharrens hatten sie sich von der Küste fortgewagt. Voller Angst und Misstrauen, erfüllt von all den Gruselgeschichten über den Kontinent, hatten sie sich von dem felsigen Randgebiet entfernt. Am Ende waren sie in einer kleinen Ortschaft gelandet, die ihrer alten Heimat nicht unähnlich war: eine Siedlung aus heruntergekommenen Bauernhäusern, die sich wie ängstliche Tiere zusammenkauerten.
Seine Mutter war zuerst freundlich aufgenommen worden. Man hatte ihr erklärt, dass alle füreinander da waren, solange sie den Gesetzen des Monarchen Cor Keto folgten. Er war der Herr des Reiches, und wer ihm widersprach, war unwiderruflich verloren. Marija bekam ein Häuschen zugeteilt, das außerhalb der Siedlung lag. Und bald verdiente sie den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn als Näherin. Dann waren die Soldaten des dunklen Herrschers gekommen. Wieder Soldaten, wieder Probleme und Kummer. Sie waren regelmäßig in dem Dorf aufgetaucht, hatten die männerlosen Frauen bedrängt, sich das geringe Ersparte genommen und die Bewohner des Ortes mit dem Tod bedroht, wenn sie es wagten, sich zu beschweren. Bis zu dem Zeitpunkt hatte sich Nirvan am meisten vor Drachen gefürchtet, danach wusste er es besser. Vor allem, nachdem er nach einigen Monaten den ersten lebenden Drachen – verborgen in einem Waldstück – zu Gesicht bekommen hatte. Sie waren groß, sicher, aber ihr Charakter war nicht so, wie er es sich aus den alten Geschichten vorgestellt hatte. Sie waren zurückhaltend, ja sogar schüchtern, und scheuten andere Wesen. Sie verbargen sich in Höhlen, und wenn ihnen jemand zu nahe kam, liefen sie fort. Er erfuhr, dass dies schon seit Jahrhunderten so war und dass es nur noch wenige ihrer Art gab. Die Drachen von heute waren nur noch ein schwaches Abbild der wilden, ungebändigten Wesen von einst.
Die Soldaten von Cor Keto hingegen konnte man nur als undisziplinierten, grausamen Haufen bezeichnen. Sie waren es, die das Leben auf dem dunklen Kontinent prägten, und sie waren der Grund, warum seine Mutter erneut in Zahlungsschwierigkeiten geraten war. Als sie dann von ihnen abgeholt wurde, war Nirvan sich sicher gewesen, dass sein Leben enden musste. Mehr konnte und wollte er nicht ertragen, dann erwachten seine magischen Fähigkeiten. Er hatte einen der Soldaten nur mit der Kraft seines Willens getötet. Er hatte gespürt, wie sich eine unbekannte Macht in seinem Körper zusammenzog und sich an einem einzigen Punkt in seiner Hand fokussierte. Und bevor er begriffen hatte, was geschah, hatte ein Blitzstrahl die Brust des Soldaten zerrissen. Das nächste, woran er sich erinnern konnte, war ein düsterer und
Weitere Kostenlose Bücher