Erbe des Drachenblutes (German Edition)
aus dem Hier und Jetzt verschwand, um dann wieder anderswo aufzutauchen. Melanie war mit Leib und Seele eine Waffe – die beste Waffe, die jemals vom dunklen Kontinent gekommen war.
Alle ausgebildeten Spione waren unabhängig voneinander nach Tempelburg geschickt worden. Zuerst hatte Nirvan niemanden der anderen getroffen. Er hatte seinen Vater aufgesucht und sich ihm offenbart, unter dem Vorwand, dass er vom dunklen Kontinent geflohen sei. Er hatte ihm alles erzählt, bis auf die Tatsache, dass er bewusst nach Tempelburg gesandt worden war, um hier eine Verschwörung einzuleiten und für seinen Tod zu sorgen. Er hatte Salvatorus solche Schuldgefühle eingeredet, dass dem alten Mann nichts anderes übrig blieb, als ihn in die Dienste der Drachentochter aufzunehmen. Salvatorus hatte sichtbar unter Nirvans Lebensgeschichte gelitten, doch Mitleid mit ihm empfand sein Sohn nicht. Zu viel war geschehen.
Als Salvatorus dafür gesorgt hatte, dass er der Drachentochter vorgestellt wurde, hatte er sich alle Mühe geben müssen, seinen tiefen Hass gegen sie zu verbergen. Scheinbar voller Aufopferung hatte er seine Missionen erfüllt und so Stück für Stück das Vertrauen von Salvatorus und der Drachentochter erlangt.
Dann war der Tag gekommen, an dem er Melanie wiedergetroffen hatte. Wie überrascht er doch gewesen war, als er sie als eine der persönlichen Hofdamen der weißen Regentin vorgestellt bekam. Und sie hatte so ungemein freundlich und schüchtern gewirkt, fast zerbrechlich. Hätte er es nicht besser gewusst, hätte er niemals auch nur in Erwägung gezogen, dass sie etwas Schlechtes im Schilde führte. Melanie spielte ihre Waisenkind-Rolle perfekt, und irgendwie waren alle davon überzeugt gewesen, dass sie bereits seit Kindestagen dort lebte. Nirvan hielt das für einen magischen Trick, konnte Melanie aber nie danach fragen. Jeder liebte und respektierte sie. Und um ihre Tarnung aufrechtzuerhalten, hatte sie in den ersten Monaten kein einziges Wort mit Nirvan gewechselt. Er hatte ihre erste Begegnung schon fast vergessen, da war sie in tiefster Nacht in seinem Gemach aufgetaucht. Die Frau, die in jener Nacht neben seinem Bett gestanden und ihn angestarrt hatte, war die eiskalte Meuchelmörderin, die er in seiner Ausbildung kennengelernt hatte. Sie hatte ihn informiert, dass alle anderen Spione gescheitert waren. Entweder hatten sie es nicht einmal bis Tempelburg geschafft, oder sie waren innerhalb weniger Wochen aufgeflogen. Melanie und Nirvan waren also die einzigen, die verblieben waren. Und Melanie hatte in der Zwischenzeit auf mentalem Weg neue Anweisungen von Medana erhalten. Danach sollte er weiterhin intrigieren und den Mord an seinem Vater planen, bis er anderslautende Order erhielt. Melanie wiederum hatte den Auftrag erhalten, dass sie die weiße Regentin umzubringen hatte, sobald es an der Zeit war.
Seit jener Nacht hatte Nirvan nicht mehr ruhig schlafen können. Sicherlich war sein Herz voller Hass gegen die freien Menschen, die in Frieden und Wohlstand lebten, in der Zeit, wo andere um ihr nacktes Überleben kämpften. Doch nun waren ihm Zweifel gekommen. Im Gegensatz zu Melanie waren seine Emotionen nicht vollständig ausradiert gewesen, und er war nicht drum herum gekommen, sich einzugestehen, dass ihn die Fürsorge und Aufmerksamkeit seines Vaters einen gewissen Eindruck bei ihm hinterließen. Er hatte nicht gewusst, ob er noch tun konnte, weswegen er hergekommen war, wenn der Befehl erfolgte.
So waren Monate vergangen, bis Nirvan den Auftrag erhalten hatte, Mina aus der anderen Welt zu holen. Die Drachentochter hatte mit ihm gesprochen, als spräche sie mit einem guten Freund. Vor allem hatte ihn aber ihre Ehrlichkeit berührt. Sie hatte ihm erzählt, dass Mina ihre Tochter war und dass sie das Mädchen als sechsmonatigen Säugling in die andere Welt geschickt hatte, um ihr Leben zu retten. Das waren wichtige Informationen für seine Auftraggeber, doch er hatte sie entgegen besserem Wissen für sich behalten. Warum dem so war, konnte er selbst nicht sagen, doch Melanie gegenüber hatte er so getan, als wisse er nicht, warum er das Mädchen holen solle. Es war wohl Zeit, die er gewinnen wollte. Zeit, in der er sein normales Leben noch genießen wollte.
Dann hatte er Mina kennengelernt und festgestellt, dass man auch anders glücklich sein konnte. Mehr noch. Er genoss ihre Gegenwart auf eine Art und Weise, die ihm vorher fremd gewesen war. Er empfand ihr gegenüber einen stark ausgeprägten
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