Erbe des Drachenblutes (German Edition)
Dort ruhten sie sich aus, bis sie sich am späten Nachmittag erneut auf den Weg machten. In den kommenden zwei Nächten schliefen sie unter freiem Himmel, von Nirvans Magie vor Wind und Wetter geschützt. Die Schneeregion hatten sie hinter sich gelassen, und ein spärlicher Wald breitete sich vor ihnen aus. Sie folgten noch immer Ignis‘ Spuren.
Nirvan und Mina sprachen kaum ein Wort miteinander. Sie nutzten aber jede Gelegenheit, einander zu mustern, wenn sie dachten, der andere würde es nicht bemerken. Mina fühlte sich hin und her gerissen. Eigentlich war sie in Nirvans Gegenwart zufrieden, doch es hatte sich so vieles geändert, seitdem sie Tempelburg verlassen hatten. Besonders das erwachte Drachenblut beeinflusste sie stark und hinterfragte jedes ihrer Gefühle. Konnte sie ihm trauen? War es wirklich Liebe, die sie an Nirvan band, oder war es nur die Neugier auf die in ihm schlummernden Geheimnisse?
Nirvan ging es ähnlich. Auch er konnte mit der Situation, dass sie nun eine vollständig erwachte Drachentochter war, nicht richtig umgehen. Er schaute sie an und sah nicht mehr die Mina, die ihm den Verstand geraubt hatte. Stattdessen erblickte er eine andere Frau, die ihr nur noch entfernt ähnelte. Dabei waren es nicht einmal die blasse Haut oder die weißen Haare, die ihn verunsicherten, sondern in erster Linie die Augen. In ihnen spiegelte sich ein Wissen wider, das ein Menschenleben alleine nicht bieten konnte. Auch wirkten ihre Worte reifer, erwachsener und nicht mehr so jugendlich und ungestüm wie vor der Verwandlung.
So verging ein Tag nach dem anderen, bis sie die Kälte und den Schnee vollständig hinter sich gelassen hatten. Die Bäume wuchsen in den Gefilden größer und kräftiger, die Wiesen waren saftiger und die Vögel sangen ohne Unterlass.
Am achten Tag ihres Fußmarsches wurde Nirvan sichtlich unruhiger. Am Nachmittag entschied er sich, das Nachtlager früher aufzuschlagen.
»Wir sind weit genug gekommen« lefen? Wiesijjj
, sagte er. »Wir waren vorher zu weit entfernt, aber nun sind wie nah genug an dem dunklen Kontinent, dass ich versuchen kann, unsere Reise zu verkürzen.«
Mina wusste nicht, wie er das meinte, nickte aber zustimmend. lefen? Wiesijjj
Er entzündete ein magisches Feuer, und sie legte sich kurz hin, wobei sie einschlief. Als sie wieder erwachte, hatte er mit einem Dolch viele unterschiedliche Schriftzeichen in den Erdboden gekratzt. Neben ihm lag ein lebloser Adler, dessen tote Augen vorwurfsvoll in Minas Richtung blickten. Sie runzelte die Stirn, als sie erkannte, dass dem Adler der Hals durchgeschnitten worden war und neben Nirvan ein mit Blut gefülltes Gefäß stand. Da vernahm sie seine leise murmelnde Stimme. Er sprach etwas Unverständliches, schwieg dann, um anschließend jemandem zu antworten, der nicht da war. Sie hatte solch ein Verhalten in den letzten Tagen schon zweimal bei ihm beobachtet, immer, wenn er dachte, dass sie schlafen würde. Sie war sich sicher, dass er auf magischem Wege mit jemandem Kontakt hielt und das vor ihr verheimlichen wollte.
Er wedelte mit der Hand umher, damit schien das Zwiegespräch beendet zu sein. Gedankenverloren spielte sie mit einer Hand an ihrem Drachenamulett. »Was tust du da?« lefen? Wiesijjj
, fragte sie.
Überraschenderweise erhob er nicht einmal seinen Kopf, als er ihr antwortete: »Ich bereite unsere Weitereise vor.« lefen? Wiesijjj
»Mit einem toten Vogel?« lefen? Wiesijjj
»Das ist nicht nur ein toter Vogel, Mina. Das ist ein junger Steinadler.«
»Und warum hast du das arme Tier getötet?«
»Wir kommen zu langsam voran, und der Adler wird uns helfen, einen schnelleren Reisezauber zu wirken. So kommen wir innerhalb von Sekunden an unser Ziel.«
Mina näherte sich ihm. Die Linien auf dem Boden bildeten ein Pentagramm, das über und über mit Runen und anderen fremdartigen Schriftzeichen versehen war.
»Wie soll das funktionieren?«, fragte sie.
»Ich erstelle ein Portal.« Er zeichnete mit den Fingern in der Luft das Pentagramm nach. »Hier müssen die wichtigsten Runen mit Blut nachgezogen werden. Es muss das Blut eines starken Fliegers sein, deshalb der Adler. Dann brauchen wir dein und mein Blut, denn wir sind die Reisenden. Wenn wir alles zusammenhaben, brauchen wir noch ein paar Gramm Zintass. Zintass ist ein silbernes Pulver mit großer Macht, das aus dem sonnengebleichten Schädelknochen eines Nachtalbs gewonnen wird. Es ist nur sehr schwer zu besorgen, wie du dir vorstellen kannst.
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