Erben der Macht
„Du glaubst ernsthaft, dass ich das Tor öffnen wollte, um über diese entsetzliche Welt und ihre widerlichen Geschöpfe zu herrschen?“ Ihr Gesicht verzerrte sich vor Verachtung. „Dummer Menschenwurm! Ich wollte nach Hause! Zurück in meine Welt und dieser abscheulichen, mit ekelhaftem Licht durchfluteten Sphäre entfliehen. Zurück in die Finsternis, in die wir gehören.“
Devlin klappte ebenso die Kinnlade nach unten wie Bronwyn. „Wie bitte? Du hast doch immer davon geschwärmt, wie gut es sich hier lebt und wie lecker das Nahrungsangebot ist.“
Reya ballte die Fäuste. „Ja. Am Anfang war das wunderbar. Für eine Weile. Aber der Genuss wurde ziemlich schnell schal. Nach über dreitausend Jahren ist diese Welt nur noch unerträglich. Und ihr beide habt meine Chance zunichtegemacht , dass ich je wieder in meine Heimat zurück kann.“ Sie streckte ihnen die Hände mit zu Krallen gekrümmten Fingern entgegen und machte einen Schritt vorwärts. „Ich …“
Warren knurrte warnend, und Gressyl vertrat ihr den Weg. „Denk nicht mal dran, Reya.“ Seine Stimme klang so kalt, dass nicht nur Reya wusste, dass er sie töten würde, falls sie auch nur eine Bewegung machen sollte, die nach einem Angriff auf Devlin und Bronwyn aussah. „Wenn das alles ist, was du willst, solltest du dich mal daran erinnern, dass wir nicht die einzigen Dämonen sind, die in dieser Welt leben. Nur mussten wir im Gegensatz zu anderen damals das Tor benutzen, um die Dimension wechseln zu können. Ich bin mir sicher, dass es dir problemlos gelingen wird, einen von denen, die keine Tore brauchen, dazu zu überreden, dich nach Hause zu bringen.“
Reya fauchte ihn an. Ihre Augen glühten. „Du miese, kleine Bazille!“ Man sah ihr an, dass sie am liebsten noch viel mehr gesagt hätte, aber sie beherrschte sich. Mühsam.
Gressyl runzelte die Stirn und schnippte mit den Fingern, als fiele ihm nachträglich etwas ein. „Ach, ich vergaß: Du hast es dir, seit du in dieser Welt bist, mit nahezu allen anderen Dämonen dermaßen verscherzt, dass die keine Klaue, Finger, Tentakel oder was auch immer mehr für dich krumm machen. Sonst wärst du längst nicht mehr hier.“ Er lächelte maliziös. „Aber ich bin mir sicher, dass du einen von ihnen dazu überreden kannst, dich wieder nach Hause zu bringen, wenn du, um einen Ausdruck der Menschen zu gebrauchen, lange genug bei ihm zu Kreuze kriechst.“
Reya stieß einen weiteren schrillen Wutschrei aus, der die Wände vibrieren ließ und – verschwand.
Gressyl grinste. „Die sind wir los.“ Er wandte sich an Devlin und Bronwyn. „Ich bin mir sehr sicher, dass wir sie nie wiedersehen.“
„Und was macht dich so sicher?“, fragte Bronwyn, der diese Aussicht zu schön erschien, um wahr zu sein.
Gressyl zuckte mit den Schultern. „Die Gesetze der dämonischen Hierarchie. Reya hat auf ganzer Linie verloren, also versagt und sich dadurch als schwach erwiesen. Damit hat sie ihre Position als Fürstin der Py’ashk’hu verspielt. Keiner von uns würde ihr noch gehorchen.“ Er warf den anderen Dämonen einen kurzen Blick zu. „Im Gegenteil würden einige ihr nur zu gern die Schikanen heimzahlen, die sie uns jahrtausendelang verpasst hat. Das wäre nicht so schlimm, denn sie kann sich schließlich wehren. Aber sie hat in ihrer Wut den Fehler begangen, vor unser aller Ohren auszuposaunen, dass sie Heimweh hat.“ Gressyl unterdrückte ein Lachen. „Damit hat sie vollständig das Gesicht verloren und wird sich nie wieder bei irgendeinem Py’ashk’hu blicken lassen können. Erst recht nicht bei euch beiden.“ Er sah jedem einzelnen Dämon in die Augen. „Und nachdem sie nun weg ist, bin ich als ihr designierter Nachfolger der rechtmäßige Fürst der Py’ashk’hu. Oder hat jemand etwas dagegen einzuwenden?“ Schon sein Tonfall drückte aus, dass jeder, der am Leben bleiben wollte, gut beraten wäre, zu schweigen. Gressyl nickte zufrieden. „Dann wäre das je geklärt.“
Einerseits war Bronwyn erleichtert, dass sie Reya los waren, denn eine rachsüchtige Dämonin, die sie mit Hass verfolgte, wäre eine ständige Belastung, mit der im Nacken sie niemals würde zur Ruhe kommen können. Andererseits empfand sie einen Anflug von Mitgefühl. Reya hatte alles verloren und war so tief gestürzt, wie sie in der Dämonengesellschaft nur stürzen konnte. Doch nach allem, was sie durch ihre Reise in die Vergangenheit über die Rolle erfahren hatte, die Reya bei allem gespielt hatte,
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