Erben der Macht
Menschen aus. Auch der Geist, den Mondwolf gerufen hatte, besaß den Körper eines Menschen. Sein Kopf jedoch ähnelte dem einer Schlange mit einer sehr langen Schnauze, die mit scharfen Zähnen bestückt war. Sein Körper war mit großen Schuppen bedeckt, die lederartig wirkten.
Der Geist blickte mit gierig funkelnden gelben Augen auf das Fleisch, das neben Mondwolf lag. „Was willst du wissen?“, fragte er. Er kannte den Handel. Für jede Frage, die Mondwolf ihm stellte, erhielt er ein Stück Fleisch. Das Herz, den größten Leckerbissen, zuletzt. Wenn er also den ganzen Vorrat haben wollte, musste er bleiben, bis Mondwolf keine Frage mehr hatte.
„Ist es wahr, dass es in dieser Welt ein besonderes Tor gibt, das deine Welt mit meiner verbindet?“
„Nein.“
Mondwolf blickte das Wesen irritiert an. Natürlich wusste er, dass die Schwarzen Geister Falsches sagten, wenn es ihnen gefiel. Darin lag eine der Gefahren im Umgang mit ihnen. Wer auf ihre Falschheit hereinfiel, hatte das Nachsehen und oft genug einen unschönen Tod. Mondwolf wusste inzwischen aber auch aus Erfahrung, dass er die richtige Frage stellen musste, um die richtige Antwort zu bekommen. Die Schwarzen Geister nahmen Gesagtes sehr wörtlich. Er warf dem Wesen ein Stück Fleisch zu. Der Geist fing es mit dem Maul auf und schlang es schmatzend hinunter.
„Gibt es besondere Eingänge von eurer Welt zu meiner außer dem, den du hier benutzt?“, stellte er die Frage anders.
„Ja. Viele.“
Mondwolf warf ihm das nächste Fleischstück zu. „Befindet sich eins davon in der Nähe dieses Ortes?“
„Ja.“
Das nächste Fleischstück. Wenn der Schwarze Geist mit seinen Antworten weiterhin so wortkarg blieb, wäre der Fleischvorrat aufgebraucht, ehe Mondwolf etwas Nützliches erfahren hatte. Außerdem wollte er nicht erleben, was passierte, wenn der Feuerring erlosch und der Geist nicht mehr an den Stein gefesselt war, auf dem er hockte. Er zeigte dem Geist die Lunge des Hirsches. Auch die Lunge und die anderen Innereien waren besondere Leckerbissen für zumindest diesen Schwarzen Geist.
„Ist es wahr, dass eins dieser besonderen Tore sich in der Nähe des Langen Großen Sees befindet? Erzähle mir alles darüber, was du weißt.“ Er deutete auf den Rest des Fleisches, wo für den Geist deutlich Herz, Leber, Nieren und der große Magen des Hirsches zu sehen waren.
Die Augen des Wesen s glitzerten begehrlich. „Ja. Es ist das Eine Tor, durch das alle Wesen meiner Welt in diese gelangen können, wenn es gelingt, es zu öffnen. Das kann aber, nach dem Zeitablauf in deiner Welt, nur alle 333 Winter am Tag der Wintersonnenwende geschehen, wenn in meiner Welt das T’k’Sharr’nuh-Opfer erbracht wird. Wenn ein Mensch auf dieser Seite des Tores gleichzeitig geopfert und das Tor mit seinem Blut bestrichen wird, kann es in Verbindung mit einem machtvollen Zauber geöffnet werden. Und ist es einmal offen, kann jeder kayápu aus meiner Welt in deine wechseln, selbst solche, die normalerweise hier nicht leben könnten.“
Kayápu – das Wort, mit dem seinesgleichen sich selbst bezeichnete. Der Geist machte eine fordernde Kopfbewegung zu der Hirschlunge hin.
„Noch nicht“, wehrte Mondwolf ab. „Das ist noch nicht alles. Der Handel für die Lunge lautet, dass du mir alles über das Tor erzählst, was du weißt.“
Der Schwarze Geist zischte enttäuscht, vielleicht auch wütend. Die Gefühlsregungen dieser Wesen deckte n sich selten mit denen der Menschen, sofern sie Gefühle besaßen.
„Meine Welt ist anders“, fuhr das Wesen fort. „Es gibt sehr viele kayápu, die nur dort leben können, weil sie die Luft hier nicht atmen könnten. Aber das Eine Tor besitzt eine Magie, mit der es jedes Wesen verändert, das es durchschreitet und es dem Leben in jeder Welt anpasst, zu der ein Tor wie dieses führt. Die meisten kayápu besitzen nicht die Macht, ohne ein Tor in diese Welt zu gelangen. Die es gefunden haben, warten schon darauf, dass dieses Eine Tor von dieser Seite aus geöffnet wird.“
Mondwolf hatte so etwas geahnt, nach allem, was die guten Geister ihm berichtet hatten. „Warum?“
Der Schwarze Geist deutete auf die Lunge. „Das ist eine neue Frage.“
Mondwolf warf ihm die Lunge zu. Das Wesen schlang sie schmatzend hinunter mit Lauten, die behaglich klangen. „Warum?“, wiederholte er und nahm den Hirschmagen in die Hand. „Und auch für diesen Leckerbissen will ich alles wissen, was du darüber zu sagen weißt. “
Das Wesen
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