Erben der Macht
beugte sich ein Stück vor. „Ihr müsst einen Zauber wirken, dass nur das Blut zweier sich liebender kayápu in der Lage ist, das Tor zu öffnen.“
„Du verspottest mich!“, hatte Mondwolf gebrüllt und hätte den Schwarzen Geist in dem Moment am liebsten getötet vor Wut. Wenn er das gekonnt hätte.
Der blieb jedoch ernst. Er legte die Fingerspitzen seiner linken Hand zuerst an die Stirn, dann auf die Brust über dem Herzen, falls er ein Herz besaß. „Ich schwöre bei Thorluks Schädel und Kallas Blut, dass das die Wahrheit ist. Und ja, die Lösung selbst ist einfach, ihre Durchführung jedoch nicht. Die Sache ist deshalb so einfach, weil kayápu nicht lieben können. Das ist eine Fähigkeit, die nur ihr Menschen besitzt. Weil ihr eine Seele habt. Wir haben keine. Es ist also unmöglich, dass es jemals zwei kayápu gibt, die fähig sind zu lieben, geschweige denn, dass sie ausgerechnet einander lieben, sollte es sie jemals geben. Und Menschen sind nun mal keine kayápu, also kann auch kein Mensch diese Bedingung erfüllen. Wenn es dir und den Deinen gelingt, die Magie des Einen Tores so zu verändern, dass nur das Blut zweier sich liebender kayápu es öffnen kann, wird es in Ewigkeit nicht geöffnet werden können, weil es solche kayápu wahrscheinlich niemals geben wird.“
Das leuchtete Mondwolf ein. „Dann ist es damit also tatsächlich versiegelt – wenn uns das gelingt.“
„Nein. Etwas, das nur unter bestimmten Umständen, die vielleicht niemals eintreten, nicht geöffnet werden kann, ist deshalb noch lange nicht auf ewig versiegelt. Das Eine Tor wäre erst dann versiegelt, wenn nichts in den drei Welten es jemals wieder öffnen könnte.“
„Aber du hast gesagt …“
„Ich habe gesagt“, schnitt ihm der Wissenshüter das Wort ab, „dass es nicht mehr geöffnet werden kann, weil es keine sich liebenden kayápu gibt und es höchst unwahrscheinlich ist, dass es jemals welche geben wird. Aber die Zeiten ändern sich und mit ihnen die kayápu. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass es eines Tages welche geben wird, die lieben können. Selbst die Seherin konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass das niemals passiert. Sie sagte aber, dass, falls es jemals geschieht, darin auch die Möglichkeit liegen wird, dass dieses Tor tatsächlich versiegelt werden kann.“
„Aber …“
„Aber wenn liebende kayápu, sollte es sie irgendwann in ferner Zukunft geben, sich dann dafür entscheiden, das Eine Tor zu öffnen, wird es nie wieder geschlossen werden können. Magie funktioniert nun mal so. Und jetzt hör auf, Fragen zu stellen, sondern hör zu, was du tun musst, damit der Zauber wirken kann.“
Der Wissenshütergeist hatte ihm genau erklärt, was Mondwolf und seine Helfer tun mussten, um den Zauber durchzuführen. Allerdings hatte es ihn mehrere Monde gekostet, um die Schamanen der anderen Clans von der Gefahr zu überzeugen und sie zur Mithilfe zu bewegen. Sie hatten ihm misstraut. Erst recht, als er ihnen offenbaren musste, dass er sein Wissen von der drohenden Gefahr von einem Schwarzen Geist erhalten hatte. Mondwolf konnte von Glück sagen, dass sie ihn wegen dieses Frevels nicht getötet hatten.
Trotzdem hatten sie sich erst selbst davon überzeugt, dass tatsächlich eine Gruppe von Schamanen im Checagou-Land in der Nähe des Langen Großen Sees ein Lager aufgeschlagen hatte – genau dort, wo sich ein realer Übergang in die Geisterwelt befand. Erst als sie gesehen hatten, dass die Schamanen mithilfe von Schwarzen Geistern, die sie durch Geistreisen in deren Welt kontaktierten, wirklich planten, das Tor zu öffnen und die kayápu in diese Welt zu lassen, hatten sie Mondwolf geglaubt.
Leider hatte es weitere Verzögerungen gegeben, denn den richtigen Zauber zu finden, um das Tor zu verschließen, war nicht einfach gewesen. Dazu hatten sie dessen Magie studieren müssen, was schwierig gewesen war, da sie zu dem Zweck nicht allzu nahe herangekommen waren. Die feindlichen Schamanen bewachten es streng und behielten auch die Umgebung scharf im Auge, sodass mehr als einer von Mondwolfs Verbündeten von ihnen entdeckt und getötet worden war. Mit dem Ergebnis, dass die Feinde äußerst wachsam waren und mit Sicherheit damit rechneten, dass heute, wo sie ihre Ritual durchführen würden, ein Angriff erfolgen würde, um das zu verhindern.
Mondwolf und die Schamanen, die sich ihm angeschlossen hatten, hatten deshalb alle Krieger um sich versammelt, die sie hatten zusammenrufen können.
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