Erben der Macht
bevor sie ihn erledigt hätten. Er war schließlich Reyas Sohn und nach ihr der Stärkste unter den Py’ashk’hu. Er hätte diese verfluchten Schamanen am liebsten auf der Stelle in Stücke gerissen. Aber das verhinderte die Seele in ihm. Er versuchte erneut, sie mit aller magischen Macht und dem Willen seines Geistes aus sich herauszureißen, aber sie hatte sich in der Zeit, in der er bewusstlos gewesen war, so fest mit ihm verwoben, dass er es nicht schaffte. Er konnte sie nur akzeptieren.
Seltsamerweise fiel ihm das immer leichter, je länger die Seele in ihm steckte. Sie dominierte ihn nicht, sie war ein Teil von ihm. Und das kam ihm auf einmal gar nicht mehr unangenehm vor. Er lächelte und blickte die Schamanen der Reihe nach an.
„Befreit mich von den magischen Fesseln. Dann kann ich ans Werk gehen.“
Das Werk, das darin bestand, Maruyandru oder Marlandra zu töten. Warum kam ihm das richtig vor und nicht falsch, wie es sollte? Er war schließlich ein Py’ashk’hu und sollte ihre Interessen im Sinn haben; nach seinen eigenen, die aber bisher nicht vorgesehen hatten, das Öffnen des Einen Tores zu verhindern. Jetzt diktierte ihm die Seele, dass er die Interessen der Menschen schützen sollte.
Nein, sie diktierte ihm nichts. Sie ließ ihn – fühlen. Dinge, die er nie empfunden hatte. Es war so verwirrend, dass er immer wieder Momente erlebte, in denen er nicht mehr wusste, wer er eigentlich war. Doch jedes Mal, wenn er sich zu verlieren drohte, gab die Seele ihm Halt und Orientierung. Machte ihm bewusst, dass er Py’ashk’hu Gressyl war, der lediglich über das reine Kayápu-Stadium seiner Existenz hinausgegangen war, weil er jetzt fühlen konnte wie ein Mensch. Dass sich dadurch seine Wahrnehmung von Recht und Unrecht verändert hatte, erschien ihm folgerichtig und in Ordnung. Er musste nicht verstehen, was mit ihm vorging, was mit ihm geschehen war. Er musste es akzeptieren. Und das fühlte sich gut an.
Er spürte, dass die magischen Fesseln gelockert wurden und schließlich verschwanden, als er keine Anstalten machte, die Schamanen anzugreifen. Trotzdem fühlte er ihr Misstrauen und die Vorsicht seiner Gefährten. Er stand auf.
„Seid vorsichtig“, warnte Spricht Mit Den Schatten.
Gressyl blickte ihn nachsichtig an. „Wenn ich für euch gefährlich wäre, dann hätte ich euch längst getötet.“ Er straffte sich. „Es ist getan.“
„Bis auf eines“, sagte Nachtsänger und reichte ihm eine Rindenschale. „Trink. Das wird dir die Kraft geben, deine Aufgabe zu erfüllen.“
Er roch an der Flüssigkeit. Es handelte sich um einen Kräutersud. Das Wissen, das er durch die menschliche Seele erhalten hatte, sagte ihm, dass diese Kräuter sein Bewusstsein öffneten. Aber das gehörte nicht zu dem Plan, den der Seelenspender mit seinen Gefährten entworfen hatte.
„Was soll das?“
Nachtsänger blickte ihn ernst an. „Wenn du wirklich auf unserer Seite stehst, dann trink. Du weißt, dass das kein Gift ist.“
Er war für einen Moment versucht, den Sud wegzuschütten. Stattdessen setzte er die Schale an die Lippen und trank. Weil sich in ihm ein Gefühl regte, das ihm bisher fremd gewesen war: Er vertraute diesen Männern. Eine gänzlich ungewohnte Regung, aber sie fühlte sich richtig an. Und gut. Das änderte sich auch nicht, als er merkte, dass die Schamanen ihn mit einem neuen Zauber belegten, den sein Geist aufnahm, als der Kräutersud seine Wirkung tat. Wieder fühlte er etwas, das er nicht einordnen konnte.
„Was geschieht mit mir?“
„Etwas für Menschen Wunderbares“, antwortete Kleiner Berg. „Du wirst dich verlieben. In die Halbgeisterfrau, sobald du sie siehst.“
Marlandra. Die er wollte, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Aber nicht wegen irgendeines abstrakten Gefühls, sondern wegen der Lust, die ihr Anblick und ihre Art, sich zu bewegen, in ihm erweckten. „Warum?“
„Falls der Schwarze Geist, der du bist, die Oberhand gewinnen sollte, sobald du wieder unter deinesgleichen bist“, erklärte Kleiner Berg. „Nach allem, was wir über euch wissen, kennt ihr zwar keine Liebe, aber Besitzansprüche. Die Liebe, die du für die Frau empfinden wirst, wird deine Natur als Schwarzer Geist veranlassen, sie für dich zu beanspruchen. Falls du den Halbgeistermann nicht mehr töten kannst oder willst, weil der Schwarze Geist in dir stärker ist als die Menschenseele, so wirst du ihn allein aus dem Grund töten, um die Frau für dich haben zu können. Mehr konnten
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