Erben der Macht
sich zwischen Kleiner Berg und den Schwarzen Geist. Er erkannte an ihrer Ausstrahlung, dass sie die Halbgeisterfrau war.
„Der gehört mir!“, verlangte sie. Erstaunlicherweise benutzte sie die Sprache der Bodéwadmi.
Die Art, wie sie den Befehl hervorstieß, verriet unbändigen Hass und ließ Kleiner Berg ahnen, dass sein Tod sehr grausam sein würde. Aber auch die schlimmste Folter würde irgendwann vorbei sein.
„Lasst uns allein. Sofort!“
Die Schwarzen Geister verschwanden und ließen ihn mit der halbmenschlichen Geisterfrau zurück. Sie packte ihn, riss ihn mit ihrer unmenschlichen Kraft hoch und schleuderte ihn zu Boden. Kleiner Berg prallte schmerzhaft auf, verbiss sich aber jeden Schmerzenslaut.
„Ist dir klar, was ihr getan habt?“
Er blickte sie trotzig an. „Wir haben verhindert, dass die Schwarzen Geister unsere Welt zerstören.“
Sie schlug ihm ins Gesicht. „Ihr Dummköpfe habt verhindert, dass Maru und ich das Tor für alle Zeiten verschließen, damit nie wieder ein Schwarzer Geist hindurch in diese Welt gelangen kann. Denn das und nichts anderes hatten wir vor. Wir sind doch auch Menschen. Wir haben gesehen, was die kayápu mit den Menschen getan haben. Und wir haben gesehen, was geschehen würde, wenn wir das Tor öffnen, um noch mehr kayápu in diese Welt zu lassen. Deshalb waren wir bereit, unser Leben dafür zu opfern, dass das Eine Tor in Ewigkeit niemals wieder geöffnet werden kann.“
Kleiner Berg starrte sie ungläubig an. Das konnte nicht sein. Unmöglich! Trotzdem sagte ihm sein Instinkt, dass sie die Wahrheit sprach. Unter anderem auch, weil Tränen in ihre Augen traten. Schwarze Geister konnten nicht weinen.
„Ist dir jetzt klar, was ihr getan habt?“, wiederholte sie ihre Frage, wartete aber seine Antwort nicht ab. „Durch Marus Tod kann das Tor zwar bei dieser Wintersonnenwende nicht geöffnet werden. Aber in 333 Wintern kann das passieren. Dann nämlich werden wieder zwei Wesen wie wir geboren werden, die zur Hälfte Menschen sind und dadurch in der Lage sein werden, es zur Wintersonnenwende zu öffnen. Durch Marus Tod wird die Gefahr bestehen bleiben, bis sich irgendwann in der Zukunft ein anderes Paar wie wir entscheidet, das Tor zu versiegeln, statt es zu öffnen.“
Kleiner Berg schwieg. Er hätte ohnehin nicht gewusst, was er dazu sagen sollte. Er begann langsam die Tragweite dessen zu begreifen, was sie gesagt hatte, und starrte sie stumm an.
„Wenn wir das Ritual hätten durchführen können, hätte unsere absolute Vereinigung uns die Macht über alle Schwarzen Geister gegeben, die sich hier aufhalten. Wir hätten ihnen befehlen können, die Menschen in Ruhe zu lassen. Das ist jetzt nicht mehr möglich.“
„Das … das haben wir nicht gewusst“, brachte Kleiner Berg endlich heraus.
„Jetzt weißt du es.“ Sie starrte ihn an. Der Hass war aus ihren Augen verschwunden. „Ich sollte dich töten. Aber es wird eine viel schlimmere Strafe für dich sein, mit dem Bewusstsein leben zu müssen, dass jeder Mensch, der von einem Schwarzen Geist von heute an getötet wird, dass alles Böse, das sie in dieser Welt anrichten werden, euer Verschulden ist.“
Ehe Kleiner Berg es verhindern konnte, belegte sie ihn mit einem Zauber.
„Dieser Zauber verhindert, dass irgendein Schwarzer Geist dich töten oder verletzen kann. Du wirst leben, bis du eines Tages an deinem Alter stirbst. Und bis dahin wirst du den Deinen sagen, dass die Gefahr erst vorüber ist, wenn es zwei Halb-Kayápu gelingt, das Tor für immer zu verschließen. Diese beiden müssen sie unterstützen, statt zu versuchen, sie zu töten. Also sorge dafür, dass deine Leute das erfahren und das auch an ihre Kinder und Kindeskinder weitergeben. Und jetzt verschwinde, bevor ich es mir anders überlege.“
Kleiner Berg stand vom Boden auf und rannte davon, so schnell er konnte. Er war sich nicht sicher, ob die Geisterfrau oder einer ihrer Helfer ihn nicht doch verfolgen würden. Er war sich auch nicht sicher, ob er wirklich verstanden hatte, was sie ihm gesagt hatte. Er rannte und achtete nicht darauf, wohin er lief oder dass ihm Zweige ins Gesicht schlugen und seine Haut zerkratzten, auch nicht darauf, dass er mit zunehmender Erschöpfung mehrmals hinfiel, seine Kleidung zerriss und er schon längst nicht mehr wusste, wo er sich befand oder wohin er eigentlich lief.
Als die Kräfte ihn verließen, fiel er unter einem Baum zu Boden und blieb schwer atmend mit schmerzenden Gliedern liegen. Er war
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