Erben der Macht
Zauber verhinderte, dass die Seele davon beeinflusst wurde. Weder würden die Grausamkeiten, die Gressyl in Zukunft begehen würde, einen Einfluss auf die Seele haben, noch würde seine dämonische Moral sich auf sie übertragen. Falls sie tatsächlich eines Tages wieder mit ihm vereinigt werden konnte und bis dahin nicht doch durch die Gefangenschaft zerbrochen wäre, würde sie weitgehend unverändert in ihn übergehen. Und wenn Gressyl es dann klug anstellte und weiterhin den Idioten spielte, würde niemand misstrauisch werden.
Als Marlandra mit dem Zauber fertig war, fühlte sie sich erschöpft. Sie merkte, dass der Schmerz über Marus Verlust zurückkehrte und ihren Geist zu zerfasern begann. Sie musste schnell handeln, bevor es zu spät war. Sie tastete mit ihren magischen Sinnen nach den anderen kayápu und stellte fest, dass sie sich alle in der Menschenwelt aufhielten und für Marus Tod grausame Rache am Volk der Bodéwadmi nahmen. Das kam ihren Plänen entgegen. Nicht die Rache an den Menschen, aber dass sie dadurch lange genug beschäftigt sein würden, um Marlandra nicht in die Quere zu kommen.
Sie versetzte sich in die Ke’tarr’ha-Residenz und ging in den magischen Arbeitsraum ihres Vaters, den nicht einmal die Dienergeister betreten durften. Sie schuf einen Hohlraum in der Wand und stellte den Seelenflakon hinein. Anschließend versiegelte sie die Stelle und tilgte jede Spur ihrer Magie, sodass Mokaryon nicht merken würde, dass sie etwas versteckt hatte; dass sie überhaupt hiergewesen war. Aber wenn die Zeit gekommen wäre, dann würde ein anderer Ke’tarr’ha – Königin oder König – den Flakon finden und Gressyl die Seele zurückgeben, damit er seinen Schwur erfüllen konnte.
Als sie dorthin zurückkehrte, wo sie Gressyl zurückgelassen hatte, hockte er immer noch teilnahmslos am Boden und wartete offensichtlich darauf, dass sie ihm sagen würde, was er tun sollte.
„Begib dich ans Ostufer des Sees und warte dort auf mich“, befahl sie ihm. „Aber sieh zu, dass dich keiner findet.“
Gressyl verschwand. Der Schmerz in ihrer Seele nahm stetig zu. Das Denken fiel ihr bereits schwerer. Sie musste sich beeilen, wenn sie den Rest ihres Plans durchführen wollte. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit, bevor sie den Verstand verlor. Sie versetzte sich dorthin, wo die kayápu unter den Menschen wüteten.
*
Kleiner Berg wusste, dass er sterben würde. Aber das fiel ihm leicht in dem Bewusstsein, dass das, was er und die anderen Schamanen getan hatten, Erfolg gehabt hatte. Adlermann war es im Körper des Schwarzen Geistes Gressyl gelungen, einen der beiden Halbgeister zu töten; andernfalls wären die Schwarzen Geister nicht hier und würden nicht nur das Dorf zerstören, sondern auch jeden seiner Bewohner töten. Da Adlermann ihnen wie versprochen einen Mond Zeit gelassen hatte, war es den Bodéwadmi gelungen, den größten Teil ihrer Familien mit einem Gewaltmarsch nach Süden aus der Schusslinie des Zorns der Schwarzen Geister zu bringen. Nur die Alten und Kranken und ein paar Frauen waren zurückgeblieben, die ihre Männer nicht hatten im Stich lassen wollen, sowie Kleiner Berg und zwei Schamanen, um den Anschein zu erwecken, dass die Schwarzen Geister die Schuldigen erwischt hätten. Falls die List nicht wirkte, wäre der ganze Stamm verloren, denn vor der Magie der Schwarzen Geister konnte man sich nicht verstecken.
Kleiner Berg kämpfte gegen sie mit Speer und Magie, konnte aber nicht verhindern – natürlich nicht –, dass sie jeden seiner Stammesbrüder und –schwestern aufs Grausamste hinrichteten. Deren entsetzliche Schreie würden seine Seele noch bis in die Andere Welt verfolgen. Ihr Zorn sicherlich auch, denn um die Familien zur Flucht zu bewegen, hatten er und seine Helfer dem Stamm offenbaren müssen, was sie getan hatten. Der Rat der Alten hatte beschlossen, alle an dem Frevel Beteiligten zur Strafe aus dem Stamm auszustoßen. Sobald sichergestellt war, ob das Verbrechen, eine menschliche Seele in den Körper eines Schwarzen Geistes zu bannen, von Erfolg gekrönt war, dass das Tor verschlossen blieb, hätten Kleiner Berg und seine beiden verbliebenen Helfer das Dorf für immer verlassen müssen. Das erübrigte sich nun.
Ein Schwarzer Geist entriss ihm mit seiner Magie den Speer, durchbrach Kleiner Bergs magische Verteidigung und schleuderte ihn zu Boden. Bevor er mehr tun konnte, als ihn magisch dort festzuhalten, tauchte eine Frau aus dem Nichts auf und stellte
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