Erben der Macht
breiteten sich schemenhaft silbern schimmernde Flügel aus, die eine frappierende Ähnlichkeit mit Engelsflügeln hatten. Und das Licht, das Sam ausstrahlte, fühlte sich fast so an wie das Licht, das Wayne durch Travis’ Bewusstsein wahrgenommen hatte, als er starb – göttliches Licht.
Er zuckte zusammen, als er einen Puls an Travis’ Hals fühlte. Die tödliche Wunde schloss sich, das Herz schlug wieder, als hätte es niemals aufgehört. Das Licht um Sam verschwand und mit ihm die Flügel, als Travis die Augen aufschlug.
Er starrte Sam an, als sähe er sie zum ersten Mal, die sich über die Stirn wischte und für einen Moment das Gesicht verzog, als hätte sie Schmerzen. Er streckte die Hand nach ihr aus und berührte ihr Gesicht, als müsste er sich davon überzeugen, dass sie Wirklichkeit und kein Traum war. „Du bist gar keine Dämonin.“ Seine Stimme war nur ein Flüstern. „Du bist ein – ein Engel.“
„Autsch!“ Sam schnitt eine Grimasse und schüttelte den Kopf.
Wayne nickte heftig. „Ich hab’s auch gesehen“, bekräftigte er und konnte sich nicht entscheiden, welches Wunder größer war: dass Travis wieder lebte oder dass Sam, die er als Dämonin kannte, mit der er und Travis schon mehrfach geschlafen hatten, tatsächlich ein Engel sein könnte.
Sam rollte mit den Augen. „Wenn ihr das noch mal behauptet, bringe ich euch beide um. Und zwar unwiederbringlich.“
Travis berührte sein blutiges Hemd, zog den Riss auseinander, den das Messer geschnitten hatte, und blickte auf die Haut darunter, die völlig glatt, narbenlos und ohne die geringste Spur einer Verletzung war. „So eine Macht besitzt kein Dämon. Ich weiß verdammt genau, dass ich – tot war. Dann warst du da, Sam.“ Er runzelte die Stirn und versuchte, sich zu erinnern.
„Ja, okay, ich habe mit dem Todesengel einen Deal gemacht, damit er dich noch mal auf die Menschheit loslässt.“ Sie sah ihm ernst in die Augen. „Jeder Mensch bekommt bei seiner Geburt eine maximale Lebenszeit zugemessen, die im wahrsten Sinn des Wortes endgültig ist. Ist er an dem Punkt angekommen, ist definitiv Schluss. Natürlich gibt es auf dem Weg dorthin immer wieder Stationen, an denen man vorzeitig sterben könnte, zum Beispiel durch einen Unfall oder wie in eurem Beruf durch Gewalt. Aber wenn man diese Klippen lebend umschifft, kommt man irgendwann am endgültigen Ende an. Deines war dir für heute bestimmt, Travis. Und normalerweise wäre es nicht verhandelbar gewesen.“
Travis richtete sich mit Waynes Hilfe auf und sah Sam an. „Wieso lebe ich dann noch? Wieder?“
Sie wiegte den Kopf. „Ich habe dem Todesengel einen Tausch schmackhaft gemacht. Wir haben ein paar Lebensjahrzehnte eines anderen Wesens, das mehr als genug Lebenszeit zur Verfügung hat, sozusagen auf dich umverteilt, dort genommen und dir gegeben. Wenn du dich also nicht noch mal umbringen lässt, wirst du ein für Menschen durchschnittlich langes Leben haben und eines Tages friedlich am Alter sterben.“ Sie grinste. „Du kannst jetzt also mit Fug und Recht behaupten, dass du wortwörtlich von geborgter Zeit lebst. Oder von geschenkter, wenn du so willst.“
Travis brauchte eine Weile, bis er das begriff; falls er es begriff. „Von wem … Wer ist der, eh, Spender dieser Zeit?“
„Jemand, der sie nicht vermisst“, wich Sam aus.
Travis packte ihren Arm. „Bitte, Sam. Sag’s mir. Ich muss es wissen.“
Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss, ehe sie ihm in die Augen sah. „Ich habe dir ein bisschen von meiner eigenen Lebenszeit geschenkt. Wie schon gesagt, vermisse ich sie nicht, da sie mir unbegrenzt zur Verfügung steht.“ Sie grinste. „Mein Leben ist nämlich das einzige, das der Todesengel niemals nehmen kann.“ Sie schnitt eine Grimasse. „Der Scheißkerl ist mein Vater. Einer meiner beiden Väter, um genau zu sein. Und ja, dadurch bin ich zu einem Drittel ein Engel. Aber nur zu einem einzigen Drittel. Die restlichen zwei Drittel sind durch und durch dämonisch.“ Sie blickte Travis und Wayne ernst an. „Und diese Information behandelt ihr bitte topsecret. Soll heißen: Ab heute werden wir niemals wieder darüber reden.“
Wayne nickte, zu erschüttert von dieser Eröffnung, um was sagen zu können.
Auch Travis nickte. „Aber warum, Sam? Warum hast du das getan?“
Sie seufzte. „Ihr Menschen seid immer so verdammt neugierig. Leider lässt eure Neugier nicht nach, wenn man euch die Antwort verweigert. Im Gegenteil.“ Sie seufzte
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