Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
an all den Schmerz dachte, den er ihr bereits zugefügt hatte, dann wurde er einfach weich. Damit gehorchte er einem Instinkt, von dessen Existenz er bisher nicht einmal etwas geahnt hatte.
»Meine Welt hat mit deiner nichts zu tun«, fuhr er fort, »obwohl wir auf denselben Straßen gehen und in denselben Städten leben. Da, wo ich herkomme, entscheidet deine Abstammung über deine Machtposition. Dein Mal ist dein Schicksal. Und Menschen sind entweder Nahrung, Sklaven oder hübsche Spielzeuge, mit denen man sich vergnügt und die man dann wegwirft. Wenn du all das nicht werden möchtest, dann musst du jetzt gut aufpassen, was ich dir erzähle.«
»Okay, aber ich komme schon jetzt nicht mehr mit«, erwiderte Lily. »Was willst du damit sagen: Dein Mal ist dein Schicksal? Was für ein Mal?«
Als Antwort zog er seinen Kragen herunter und legte sein rechtes Schlüsselbein bloß. Er hörte Lily nach Luft schnappen und wusste, dass sie die Verbindung hergestellt hatte.
»Meine Güte!«
Sein Mal war schon so lange ein Teil von ihm, dass er es nicht einmal mehr wahrnahm, wenn er in den Spiegel schaute. Aber er kannte es in- und auswendig. Es symbolisierte, wer er war, wer zu sein sein Erzeuger, dieser sadistische Dreckskerl, ihn gezwungen hatte: der keltische Knoten, gebildet aus sich streckenden Katzen, alles in dunkelstem Schwarz. Und im Hintergrund das Ankh der Ptolemy, groß genug, dass der Knoten aussah, als sei er in dessen Mitte aufgehängt. Das erste Mal hatte ihn zu einem Ausgestoßenen gemacht.
Das zweite zu einem Sklaven.
»Mein Erzeuger war ein Cait Sith«, sagte Ty ruhig. Er spürte, dass Lily ihn durchdringend anstarrte, und sah aus dem Augenwinkel, dass sie die Hand an ihr Schlüsselbein gelegt hatte. Er zog den Hemdkragen wieder hoch und legte die Hand zurück ans Steuer. »Das ist eine Blutlinie ohne Führer, ohne zentrale Machtstelle. Man behauptet, wir hätten Feenblut in uns, und vielleicht stimmt das sogar. Natürlich verfügen wir über eine Reihe von Fähigkeiten: Sich in eine Katze verwandeln zu können, ist ganz praktisch, und wir sind außergewöhnlich gute Jäger, selbst im Vergleich zu all den anderen Wesen, deren Sinne natürlich viel ausgeprägter sind als die der Menschen. Trotzdem betrachtet man uns als Unterschicht. Gossenschicht sagen manche sogar.« Er versuchte, seine alte Bitterkeit nicht durchklingen zu lassen. Er hatte sich schon vor langer Zeit damit abfinden müssen, dass es in der Welt der Finsternis Dinge gab, die er einfach nicht beeinflussen konnte.
»Und … wie bekommt man das Mal?«
Er wusste, sie fragte das, weil sie sich Gedanken über das komplizierte Mal an ihrem Schlüsselbein machte.
Genau wie er.
»Wenn du gebrandmarkt wirst, sprich, wenn du von einem anderen Vampir zum Vampir gemacht wirst, dann ist ein Teil der Abmachung, dass du, nachdem er von dir getrunken hat, von ihm ebenfalls trinken darfst. Jedenfalls, wenn du weiterleben möchtest. Sein Blut brandmarkt dich. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben sollte. Jedenfalls bildet sich das Mal in dem Moment, wo deine Verwandlung vollkommen ist.« Er dachte daran, wie sein Blut gebrannt hatte, als das Ankh hinzugefügt worden war, wie sein Cait-Sith-Blut gegen den einen Tropfen Ptolemy-Blut rebelliert hatte. »Es kann abgeändert werden«, fuhr er fort. »Aber nie entfernt. Es definiert uns. Es bestimmt, wer wir sind.«
Es war seltsam, mit jemandem darüber zu reden. Er hatte noch nie jemanden gebrandmarkt, und er hatte sich auch geschworen, das niemals zu tun. Niemals würde er jemand anderem antun, was ihm angetan worden war, niemals würde er jemanden zu einem Leben mit einem Mal verdammen, mit dem man nur Spott erntete, in ständiger Furcht lebte und oft genug auch in Armut.
Es war, als könne Lily seine Gedanken lesen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass sie ihn neugierig betrachtete.
»Und was bist dann du, Tynan MacGillivray? Du hast gesagt, du bist keiner von diesen Ptolemy, für deren Schutz du dich so abrackerst. Was also erzählt dein Mal anderen Vampiren?«
»Seine Hauptaussage ist, dass ich ein Unterschichtvampir bin.« Er zuckte mit den Schultern. »Deshalb nimmt mich auch niemand zur Kenntnis außer den Ptolemy, die gern von Vampiren wie mir die Arbeit erledigen lassen, für die sie sich selbst zu fein sind. Jede Dynastie hat ihre Vorzüge. Aber die Ptolemy, die Empusae, die Dracul, die Gregori und ein paar andere, kleinere Dynastien, die es hier und da noch gibt, die haben das Sagen.
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