Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition)
behielt man die Dinge lieber für sich. Aber wenn Erzählen dazu führte, dass Lyra dablieb und ihn so ansah, würde er es versuchen. Für sie.
»Na gut, wenn es dich so interessiert. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. In Somerset. Wir waren ehrbare Leute, auch wenn wir nicht sonderlich reich waren. Das Land gehörte uns, und mein Vater brachte seinen Söhnen bei, wie man es bestellte, genau wie er uns alles andere beibrachte. Mein Vater war ein außerordentlich vernünftiger Mann. Hat mich wahnsinnig gemacht.«
»Harrison«, sagte Lyra, und die Andeutung eines Lächelns huschte über ihre Lippen. »Dein Nachname. Ich hatte mich schon darüber gewundert.«
Jaden machte eine kleine Verbeugung. »Du sprichst mit James Dennis Harrison dem Dritten, englischer Bauer, der in ein Geschöpf der Nacht verwandelt wurde. Halsbeißer, Viehhüter, Suppenkoch.«
»Nicht zu vergessen Werwolftrainer«, ergänzte Lyra.
»Mmmh. Nicht nur habe ich viele Talente, auch meine Titel sind zahlreich und unterschiedlichster Natur.« Mit diesen Worten drehte Jaden sich um, um die Arbeitsplatte abzuwischen. Er hatte sich geirrt. Lyra machte es ihm einfach, darüber zu sprechen … es ging ganz von selbst. Und ihr Interesse schmeichelte ihm. Einen Vampir hätte das nicht interessiert. Für die meisten seiner Spezies waren Familie und sterbliches Leben so ein uralter Hut, dass sie ein völlig belangloses Gesprächsthema waren.
»Wieso hast du deinen Namen geändert?«, fragte Lyra.
»Man lässt ein Leben hinter sich und fängt ein neues an. Es schien richtig, den Namen ebenfalls zurückzulassen. Zumal mein Vater lange Zeit nicht sehr glücklich war, den gleichen Namen zu haben.« Er warf das Handtuch auf die Arbeitsplatte, dann klaubte er die Schalenreste zusammen und entsorgte sie im Abfalleimer, während die Erinnerungen an damals wieder lebendig wurden.
Liebe konnte viele Hindernisse überwinden, aber ein Geschöpf der Nacht zu werden, war schon ein riesiges Hindernis.
»Das tut mir leid«, sagte Lyra. »Dann ist er also nicht so gut damit fertig geworden, dass du dich verwandelt hast.« Sie klang zögerlich, aber er wollte nicht, dass sie sich zurückhielt. Diese alte Wunde war längst verheilt.
»Das ist schon okay«, sagte er und drehte sich zu ihr um. »Schließlich hat er sich dann doch noch damit abgefunden. Für ihn war das auf verschiedenen Ebenen nicht ganz einfach. Immerhin war ich sein ältester Sohn. Ich sollte in seine Fußstapfen treten. Dass ich ein unsterblicher Blutsauger wurde, hat seine Pläne ein wenig durcheinandergewirbelt.«
Sie lächelte, und dieses immer ein wenig verführerische Lächeln wollte er möglichst oft sehen, solange er noch hier war.
»Und deine Mutter?«, fragte Lyra, deren Interesse offensichtlich geweckt war. »Kam sie damit klar?«
»Nein«, musste er zugeben. »Eigentlich nicht. Aber sie hat immer wieder auf mich eingeredet, ich solle nach Hause kommen.« Bei der Erinnerung musste er lächeln. »Sie hat immer davon gesprochen, dass sie mir ein Zimmer im Keller herrichtet und ein paar Kühe für mich bereithält, damit ich, wie sie das nannte, ein ehrbarer Vampir sein konnte. Ihr gefiel die Vorstellung nicht, dass ich Leute biss. Das beleidigte ihre Gefühle. Sie meinte wohl, sie hätte mich besser erzogen.«
»Du hast sie geliebt.« Lyra rührte in ihrer Suppe herum, während sie ihm zuhörte. Es erstaunte ihn, dass sie so überrascht klang.
»Natürlich. Sehr sogar. Die meisten von uns hatten mal ein ganz normales Leben. Ich war einfach nur am falschen Abend im Gasthaus. Eine hübsche Bedienung will im Stall ein bisschen mit einem rumknutschen, man glaubt, das große Los gezogen zu haben und peng – das Leben, wie man es kannte, ist vorbei, und man muss sich völlig neu orientieren. Davor war alles … ganz normal. Ich hätte ein schönes Leben gehabt. Hätte den Bauernhof geerbt, irgendein nettes Mädel geheiratet und neun oder zehn Kinder gehabt. Nicht unbedingt das Schlechteste.«
Während er das sagte, wurde ihm klar, dass diese Wunde auch heute, nach zweihundert Jahren, noch schmerzte. Er hätte das alles gern gehabt. Eigentlich wollte er es immer noch. Und nichts auf Erden konnte ihm das zurückbringen. Angesichts all der Dunkelheit und Gefahr in seiner Vergangenheit – mal ganz abgesehen von der Gegenwart –, hatte er eigentlich nur sehr einfache Bedürfnisse. Leider war sein Leben schon seit sehr langer Zeit nicht mehr einfach gewesen.
»Das klingt wirklich nett. Ein
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