Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition)
Noch immer sah sie viel zu blass aus, und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe, die eigentlich nicht hätten dort sein dürfen … an denen Jaden sich gern nicht schuldig gefühlt hätte. Aber sie sah auch aus, als hätte sie sich wieder im Griff, und das war etwas, worauf er sich immer mehr verlassen konnte. Selbst wenn sie am Boden lag, gab sie nicht auf. Jedenfalls nicht lange.
Das war eine Stärke, die er zu schätzen wusste.
»Hallo«, gab er zurück. Er fragte sich, weshalb sie wohl gekommen war.
»Mein Vater möchte, dass du nach Hause kommst. Es geht irgendwie um diesen Psychotrick. Ich habe ihm schon gesagt, dass er ihn nicht lernen kann, aber …« Sie zuckte mit den Schultern. »Er ist der Boss, und ich nehme an, er wünscht ein bisschen Unterhaltung. Kannst du kommen?«
Jaden fiel auf, dass es das erste Mal war, dass sie ihn um etwas bat, statt es ihm zu befehlen. Was auch immer dahinterstecken mochte, ihm gefiel es.
»Klar, ich denke, wir sind so weit.« Er war froh, gehen zu können, jetzt, wo er Simons Liebeskummer gesehen hatte … nicht, dass ihm das Gefühl ganz unbekannt gewesen wäre, wenn es um Lyra ging. Es war genau, wie er angenommen hatte. »Nur Freunde« klang großmütig und selbstlos, war aber in dem Augenblick nicht mehr glaubwürdig, in dem die Frau höchstpersönlich vor ihm stand.
Pech gehabt, Simon. Im Moment zumindest ist die Frau schon vergeben.
Dieser hitzige und besitzergreifende Gedanke tauchte wie aus dem Nichts auf. Und Jaden wusste, dass er seine Berechtigung hatte, auch wenn das sicher nicht sonderlich klug war.
Er stand auf, ließ den Blick über ihre hohen Stiefel, die eng sitzende Jeans und das eng anliegende T-Shirt wandern. Demjenigen, der auf die Idee gekommen war, Baumwolle mit Lycra zu versetzen, hätte man wirklich ein Denkmal bauen sollen. Lyras Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, doch einige ihrer wilden Locken hatten sich schon wieder selbstständig gemacht.
»Also, gehen wir«, sagte Jaden und nickte Simon zu. »Danke für die Einladung, Simon. Ich weiß das zu schätzen.«
»Gern geschehen. Du, Lyra, ich war optimistisch und habe uns Karten gekauft für ein Konzert nach der Prüfung. Hard Reign. Bist du dabei?«
Das klang fast schon bemitleidenswert hoffnungsvoll, aber Lyra schien sich sofort anzuspannen, und ihre Schultern wurden ganz steif. Jaden hatte noch nie gesehen, dass sie einen anderen Wolf wie einen Untergebenen behandelte, und es war faszinierend zu beobachten. Und irgendwie auch erfreulich. Er hatte zwar auch nicht gerade die besten Manieren, aber er verstand durchaus, wenn man ihn bewusst ausschloss. Simon versuchte, ihm eine weitere Lektion zu erteilen:
Ich werde noch hier sein, bei ihr, wenn du schon lange wieder weg bist.
Vielleicht mochte er Simon doch nicht sonderlich. Und Lyra schien – zumindest im Moment – ähnlich zu empfinden.
Mit unbewegtem Blick starrte sie auf Simon hinunter. Es überraschte Jaden, dass Simon warnend zurückfunkelte und es ein paar Sekunden dauerte, bis er den Blick abwandte. Aber schließlich ließ er langsam den Kopf sinken und hielt Lyra seinen Nacken hin. Es war ein reichlich widerwilliges Zeichen der Unterwerfung.
»Glaubst du, damit ist es getan?«, fragte Lyra. »Hast du überhaupt eine Ahnung, warum ich so wütend bin?«
»Durchaus«, erwiderte Simon und hob den Kopf. »Offensichtlich mehr als du selbst zurzeit.« Er stand auf und nahm seine Jacke von der Stuhllehne, dann nickte er Jaden zu. »War nett mit dir. Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe.«
Simon ging, ohne Lyra noch einmal anzusehen. Kaum war er fort, wirkte Lyra noch trauriger als vorher. Sie war die Einzige, die Jaden im Moment leidtat.
Möge ich vor liebeskranken Werwölfen bewahrt bleiben, außer ich bin derjenige, den sie anhimmeln.
Jaden folgte Lyra nach draußen.
Die Nacht roch nach Frühling. Irgendwo in der Nähe quakten Frösche, was die Stille zwischen ihnen ein bisschen weniger seltsam erscheinen ließ. Nachdem sie ein paar Schritte gegangen waren, Simon aber nirgendwo zu entdecken war, drehte Lyra sich zu ihm.
»Ich habe meine Meinung geändert«, sagte sie und schob das Kinn vor, konnte seinem Blick aber doch nicht ganz standhalten. »Ich möchte trainieren, ich muss nur –«
»Ich weiß«, erwiderte Jaden. »Ich habe gerade eine Einführung in einen ausgewählten Teil der Wolfsgesetze erhalten.«
Sie wirkte nicht im Geringsten überrascht, eher resigniert.
»Das hatte ich mir schon gedacht«,
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