Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition)
können, denn allmählich ließ ihr Körper ihr keine Wahl mehr.
»Gehen wir rein«, sagte er. »Sie warten schon auf uns.«
Das beruhigte Lyra, auch wenn sie nicht recht wusste, auf was sie sich gefasst machen musste. Sie stieg aus dem Wagen und ging neben Jaden auf das Haus zu, ein schönes altes viktorianisches Gebäude. Die Fenster leuchteten hell und einladend, und sie spürte, wie der eisige Knoten in ihr ein klein wenig auftaute. Doch mit diesem Auftauen überfiel sie auch gleich die Sehnsucht nach zu Hause. Sie wusste, sie würde lernen müssen, mit diesem Heimweh klarzukommen. Jaden verlangsamte seinen Schritt und sah sie an. Ihre Gefühle mussten ihr ins Gesicht geschrieben stehen.
»Lyra –«
»Ja?« Sie konnte ihn nicht anschauen. Sie war nicht bereit für das, was sie vielleicht in seinen Augen sehen würde.
Er zögerte, dann gab er auf … vorläufig.
»Nichts.«
Die schwere Eingangstür schwang auf, sobald sie halb die Treppe hochgegangen waren, und eine Frau, an die Lyra sich noch sehr gut erinnerte, kam herausgestürzt und schlang die Arme um Jaden. Als Lyra sah, wie willig er sich umarmen ließ, spürte sie einen unerwarteten Anflug von Eifersucht. Ihr war durchaus klar, wer die Frau war, und aus Jadens Erzählungen wusste sie auch, dass Lily verheiratet war. Trotzdem … konnte sie nicht an ihrem Ehemann herumfingern?
Lyra musterte die Anführerin der Lilim von oben bis unten, während sie darauf wartete, dass Lily endlich aufhörte, so viel Aufhebens um Jaden zu machen. Als Lyra Lily MacGillivray vor ein paar Monaten kennengelernt hatte, war sie eine hübsche Frau gewesen. Seitdem hatte sich eine beachtliche Verwandlung vollzogen. Sie war nicht mehr einfach nur hübsch, sie war eine umwerfende Schönheit. Und der große, dunkle Vampir mit dem ausdrucksvollen Gesicht, der hinter ihr in der Tür stand … auch an ihn erinnerte Lyra sich. Er sah fast – aber nur fast – so gut aus wie Jaden.
Lily und Ty waren eindeutig Vampire, das sah man an ihrem perfekten Äußeren, dem nichts etwas anhaben konnte. Immerhin machten sie einen friedlichen Eindruck. Zumindest Lily. Im nächsten Moment richtete Lily den Blick ihrer ozeanblauen Augen auf Lyra. Das Mitgefühl, das sich darin spiegelte, war beinahe zu viel für sie. Ein greller Schmerz bahnte sich seinen Weg durch den Nebel, der sie umgab.
»Lyra«, sagte Lily und trat auf sie zu. Sie war etwa einen Kopf kleiner als Lyra, strahlte aber eine königliche Würde aus. Dennoch hatte sie nichts Bedrohliches an sich. Niemand, der sich seine Gefühle so unverstellt anmerken ließ, konnte bedrohlich wirken. In diesem Fall fand Lyra das durchaus begrüßenswert.
»Ich weiß nicht, ob du dich noch an mich erinnerst. Ich bin Lily.«
»Ich weiß, wer du bist«, erwiderte Lyra und versuchte, ein freundliches Lächeln zustande zu bringen. »Danke, dass ihr mich aufnehmt, und Glückwunsch zu der ganzen Dynastie-Geschichte.«
»Danke«, sagte Lily und strahlte Lyra ihrerseits voller Wärme an. »Du bist uns herzlich willkommen. Wenn du irgendwas brauchst, lass es mich unbedingt wissen, okay? Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn auf einmal nichts mehr ist, wie es war.«
»Das glaube ich gern«, erwiderte Lyra mit einem Blick auf die beeindruckende Fassade des Hauses.
»Bitte, komm rein.« Lily legte Lyra sanft die Hand auf den Rücken und führte sie nach drinnen. Lyra ließ es geschehen, froh, dass sich jemand anders ihres Körpers annahm, während ihr Verstand damit beschäftigt war, das alles zu verarbeiten.
»Ich zeige dir als Erstes dein Zimmer, und dann kannst du selbst entscheiden, ob du dich lieber hinlegen oder noch ein bisschen zu uns setzen willst. Und mach dir keine Sorgen, wir werden dich nicht schlecht behandeln. Ich habe kein Problem mit Werwölfen, und das wird bei meinen Leuten nicht anders sein.«
»Glaub mir«, sagte der Mann, der im Eingang stand, »sie hat allen mächtig die Leviten gelesen. Falls irgendjemand ein Problem hatte, wird er das jetzt garantiert für sich behalten. Lily kann sehr überzeugend sein, wenn sie will.«
In seinen silbrigen Augen funkelte der Schalk, und es war deutlich spürbar, wie sehr er seine Frau liebte. Die beiden waren ein umwerfendes Paar, das war nicht zu leugnen. Als Lyra an Ty vorbei durch die Tür trat, nickte er ihr zu.
»Ich bin Ty MacGillivray. Ich erinnere mich ebenfalls an dich. Es tut mir leid, dass deine Schwierigkeiten schon so lange andauern.« Sein melodiöser schottischer Dialekt
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