Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
eine Fahrt nach Amsterdam benutzt hatte.
»Du und ich haben Pässe, Baby. Nun müssen wir einen neuen für Sascha besorgen. Zu dumm, Rachel. Findest du nicht auch?«
Er schien die Geschichte mit dem Pass doch geschluckt zu haben. Wo zum Teufel lag Warschau eigentlich? Sie konnte nicht mehr klar denken. Er hatte es schon mehr als einmal erwähnt, wenn von seinen Geschäften die Rede war, aber sie hatte nicht aufgepasst.
»Lass mich, Anton«, bat sie. »Reden wir darüber.«
»Nein, nun bist du an der Reihe. Kommst du mit oder bleibst du hier?«
Dieses Mal meinte er es ernst. Er wollte Sascha haben, und er würde ihn bekommen. Sie hatte nur die eine Wahl – ihn zu begleiten.
»Du hast mich in der Hand. Ich gehe dahin, wohin Sascha geht. Selbst wenn du wolltest, könntest du mich nicht daran hindern.«
Lächelnd verminderte er den Druck auf ihre Schenkel. »So ist es brav. Wir fahren jetzt zu Uri. Er kann einen neuen Pass für Sascha besorgen. Nur ist es teuer und dauert eine Weile. Deshalb fahren wir zu Uri und warten bei ihm auf den neuen Pass. Aber ich warne dich. Uri ist gewaltig wütend. Er meint, ich soll dir eine Lektion erteilen.« Er schüttelte den Kopf und lachte. »Mein kleiner Bruder ermahnt mich, meiner Frau eine Lektion zu erteilen. Komisch, was?«
Sie erstarrte. »Zu deinem Bruder fahre ich nicht! Und Sascha bringst du auch nicht zu ihm. Hast du verstanden?«
»Wir müssen zu ihm. Wir haben keine Wahl. Es sei denn, du hast Saschas Pass.«
»Hör zu, wir müssen nirgendwo hin. Wir können einen völlig legalen Pass für Sascha kriegen. Es dürfte noch nicht einmal lange dauern.«
»Ausgeschlossen, Baby. Wir fahren zu Uri.« Er sah sie an, aber irgendetwas an seinem Blick stimmte nicht. Sie wusste nicht genau, was es war, aber in seinen Augen glitzerte etwas völlig Unbekanntes.
»In Ordnung«, stimmte sie mit einem Nicken zu. »Fahren wir zu Uri.«
Zum ersten Mal mied er ihren Blick, und sie fühlte sich in ihrem unguten Gefühl bestätigt. Unvermittelt gab er sie frei. Sie sah ihm nach, wie er in die Küche ging. Furcht, Wut, Abscheu und Hass stiegen in ihr hoch.
»Du gehst packen, und ich genehmige mir ein Glas, ja?«, sagte er, ohne sich nach ihr umzudrehen. »Ich habe da eine verlockende Flasche Scotch im Regal gesehen.«
Während ihr tausend Ideen durch den Kopf jagten, blieb ihr Blick auf dem alten Couchtisch ihres Vaters haften, auf den zerdrückten Bierdosen und dem hässlichen Glasaschenbecher, den sie in einem Wohltätigkeitsladen erstanden hatte und der nun bis zum Rand mit stinkenden Kippen gefüllt war. Sie musste daran denken, wie sie geflucht hatte, als sie das schwere Ding in einer Plastiktüte den Berg hinaufschleppte.
Einen Augenblick lang starrte sie den Ascher an, dann packte sie ihn mit beiden Händen. Anton hatte sich gerade zur Hälfte umgedreht, da war sie schon bei ihm und schleuderte den Aschenbecher mit aller Wucht gegen seine Schläfe. Trotz ihres Tempos war ein Teil ihres Gehirns auf Zeitlupe geschaltet, und sie war überrascht über ihre Kräfte. Nicht nur sie.
Asche und Kippen schienen in der Luft zu schweben, während Anton sie staunend ansah. Obwohl er von dem Schlag betäubt zu sein schien, wollte er mit der Faust nach ihr schlagen. Sie bog den Körper zur Seite, und er erwischte nur ihren Oberarm.
Anton schüttelte den Kopf, als könnte er dadurch wieder einen klaren Verstand bekommen. Mit der Rechten tastete er nach seiner heftig blutenden Schläfe. Das gab ihr einen kurzen Moment, um den Aschenbecher über ihren Kopf zu heben und sich mit einem Satz nach vorn zu werfen. Eiserne Entschlossenheit hatte sie gepackt, und sie bewegte sich mit einer ihr unbekannten Geschmeidigkeit. Benommen und ungläubig starrte Anton sie einen Sekundenbruchteil an. Hätte sie nur einmal zugeschlagen, hätte er es nachvollziehen können – sie hatte ihn schon mehrmals angegriffen –, aber das hier war etwas anderes. Es war ihr tödlich ernst. Sie hatte keine Angst mehr vor ihm. Sie würde keinen Rückzieher mehr machen.
Er riss den Arm hoch, um sein Gesicht zu schützen. Mit dem anderen wollte er sie abwehren, aber der Rand des schweren Aschenbechers traf ihn an der Stirn. Er hinterließ eine klaffende Wunde und zerschmetterte seine Nase. Anton brüllte laut auf und verdrehte die Augen. Eine Sekunde später brach er zusammen. Sein Gesicht war blutüberströmt. Bevor er wieder zu sich kommen konnte, packte sie erneut den Aschenbecher, setzte sich auf den Gestürzten und
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