Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
seinem Bett, als sie die Tür zu seinem Zimmer öffnete. Er hatte sich nicht entkleidet. Leise ging sie hinein, zog ihm die Sandalen aus und öffnete ein wenig das Fenster. Er schwitzte. Sein Gesicht war rot und heiß, und die Augen bewegten sich ruhelos unter den Lidern.
In ihrem Schlafzimmer ging sie auf und ab. Der Anblick, der sie unten erwartete, erfüllte sie mit Angst. Aber bald hielt sie es nicht mehr aus. Es gab noch viel zu erledigen, und sie musste es anpacken. Sie ging die Stufen zur Haustür hinunter und warf einen Blick auf die Straße. Antons Auto schien weder auf der einen noch auf der anderen Seite zu parken. Natürlich – dafür war er viel zu schlau gewesen. Hätte er sein Auto in der Nähe abgestellt, hätte sie bei ihrer Heimkehr die Flucht ergreifen können. Das Auto stand wahrscheinlich einige Straßenzüge weiter. Es gab genügend andere Dinge, über die sie sich den Kopf zerbrechen musste. Sie warf einen kurzen Blick auf Tom Bainsburrows Haus. Der alte Mann sah gewöhnlich bis lange nach Mitternacht lern, und tatsächlich, aus dem Fenster seines dunklen Wohnzimmers drang bläuliches Licht.
Bevor sie die Haustür schloss, hielt sie einen Augenblick inne. Gab es einen anderen Weg? Noch konnte sie die Polizei benachrichtigen. Es war schließlich erst eine Stunde vergangen. Sie hatte sich zwar umgezogen, aber noch war es möglich. Entweder jetzt oder nie. Ihre Abneigung gegen die Polizei hatte mit ihren persönlichen Erfahrungen zu tun, das wusste sie. Doch es gab durchaus Leute, denen von der Polizei geholfen wurde. Aber da stand ihr plötzlich das Bild des Blutbads vor Augen, der zerschmetterte Kopf Antons, der mit Blut gefüllte Krater, der einst sein Gesicht gewesen war. Welche normale Frau würde so etwas tun? Das als Selbstverteidigung zu bezeichnen, war lächerlich. Ohne Frage würde man sie ins Gefängnis werfen, und Sascha würde man sonst wo hin bringen. Nein. Die Polizei war keine Möglichkeit. Nicht jetzt. Andererseits – niemand schaffte es, einen Mord zu vertuschen; es war nur eine Frage der Zeit, bis die Tat ans Licht kommen würde. Anton war nicht mehr, aber frei war sie deshalb nicht. Im Gegenteil, die Tage ihrer Freiheit waren gezählt. Es sei denn …
Mit dem Mopp und noch mehr heißem Wasser, in das sie ein Putzmittel geschüttet hatte, machte sie sich wieder an die Arbeit im Wohnzimmer und reinigte das billige Eichenlaminat, das Alfie auf Dotties Wunsch hin verlegt hatte. Sie suchte alles nach blutgetränkten Zigarettenkippen ab. Sie besaß sehr wenige Möbel und nahm sich Stück für Stück vor, um eingebildete Blutflecken abzuschrubben. Das hässlich braune Kunstledersofa stand dem Tatort am nächsten, und sie wischte es gleich mehrmals ab. Der unrechtmäßig erworbene Teppich lag außer Reichweite am anderen Ende des Zimmers. Sie verbrachte Stunden damit, alles abzuschrubben. Es war nicht die schlechteste Methode, die Nacht hinter sich zu bringen. Sie nahm sich die Wände vor, den Kamin, die Türrahmen, die Fußleisten und die Treppe. Sie hatte es oft genug im Fernsehen gesehen. Die Leute von der Spurensicherung entdeckten das Blut an den unwahrscheinlichsten Stellen.
Es war fast Morgen, als ihr der tote Körper wieder einfiel. Sie würde ihn besser verstecken müssen, bis sie eine Idee hatte, wie sie ihn loswurde. Aber wie zum Teufel sollte sie das bewerkstelligen? Mit jeder Minute, mit jeder Stunde schwand die Möglichkeit, den Mord zu melden, und die Gefahr, in der sie schwebte, wurde immer größer. Man würde die Leiche in ihrer Garage finden. Vielleicht hatte Anton ja auch Uri darüber informiert, wo sie wohnte. Hatte er nicht gesagt, dass Uri und seine Leute ihr auf den Fersen sein würden? Sie konnte mit Sascha fliehen. Aber wohin? Es war erst wenige Stunden her, dass sie sich geschworen hatte, dieses Haus nie als Flüchtende zu verlassen. Es war Saschas Zuhause.
Sie riss sich zusammen und ging nach unten in die Garage. Mit abgewandtem Kopf machte sie einen großen Schritt über den Toten. In der Garage herrschte ein gewaltiges Durcheinander. Sie würde die Leiche zudecken und zwischen dem Trödel verstecken, den ihr Vater im Verlauf seines Lebens aufgehäuft hatte, zwischen den Schachteln, Leitern, Tapeziertischen, Farbdosen, Blechen, Eimern und Abdeckplanen, die ihr Vater für seinen Beruf gebraucht hatte. Seltsam, dass Anton nicht daran gedacht hatte, in der Garage nach dem Pass zu suchen. Vielleicht war ihm gar nicht aufgegangen, dass es überhaupt eine
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