Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
einen Schritt nach vorn. Eine Sekunde lang herrschte völliges Schweigen, man hörte nur ein Tropfen. Sie hoffte, dass der Flecken unter der Leiche von dem undichten Rohr herrührte.
»O mein Gott!« Madeleine schnappte nach Luft und wich zurück.
»Wir können mit dem Auto rückwärts in die Garage fahren und ihn in den Kofferraum hieven. Einfach wird es nicht werden.« Rachel sprach leise, und ihre Stimme zitterte.
»Das passt niemals in meinen Kofferraum. Es ist zu … lang.«
Mit drei Schritten stand Rachel vor Madeleine, packte sie am Ausschnitt ihres T-Shirts und knurrte sie an: »Dann müssen wir ihn eben knicken, Madeleine. Es sei denn, du willst ihn in kleine Stücke hacken und in Beuteln abtransportieren. Auch das können wir tun, wenn es dir lieber ist. Mein Dad hat mir eine scharfe Säge hinterlassen … Mir ist alles egal. Ich schaffe auch das.«
Blitzschnell gab Madeleine ihr eine Ohrfeige. Es tat nicht wirklich weh, aber Rachel war sprachlos. Sie fühlte, wie ihre Wange rot wurde.
»Nun hör mir mal gut zu, Rachel«, begann Madeleine ruhig. »Meinst du, ich bin scharf darauf, eine Leiche zu beseitigen? Ich kann meinen Entschluss jederzeit rückgängig machen. Wenn es dir lieber ist, gehe ich sofort, und du kannst die Sache allein ausbaden.«
Lange sahen sie einander an. Rachel ließ Madeleines T-Shirt los. »Tut mir leid. Ich wollte nicht die Nerven verlieren. Aber ich bin am Ende.«
Madeleine legte die Hand leicht auf die sich rötende Wange ihrer Tochter. »Mich überrascht das nicht. So etwas ist für jeden Menschen zu viel. Bist du sicher …«
»Ja, ich bin sicher«, bestätigte Rachel mit fester Stimme.
»Gehen wir wieder nach oben«, schlug Madeleine vor. »Hier können wir uns nicht unterhalten, und es ist sowieso noch viel zu früh, um etwas zu unternehmen.«
Das Gewitter nahm an Heftigkeit zu. Alle paar Minuten zuckten sie zusammen, weil es in der Ferne heftig grollte. Sie setzten sich ins Wohnzimmer und sahen aus dem Fenster. Die schwarzen Wolken wurden von Zeit zu Zeit von Blitzen erhellt. Es war so schwül, dass man kaum atmen konnte. Rachel wollte nachschenken, aber Madeleine hielt sie davon ab. »Wir müssen mit dem Auto fahren, vergiss das nicht. Wir wollen doch nicht angehalten werden und ins Röhrchen pusten, oder?«
»Wir? Du meinst doch hoffentlich dich.«
»Wie ist Anton hierher gekommen?«
»Mit dem Auto.«
»Und wo ist sein Auto?«
Antons Auto! Wie war es möglich, dass sie keine Minute daran gedacht hatte? »Es muss hier irgendwo geparkt sein. Es ist riesig.«
Madeleine beugte sich vor. »Hast du die Schlüssel?«
»Ja, die habe ich noch. Sie sind in meiner Handtasche.« Madeleine hatte einen Ausweg gefunden. Sie brauchte keine tropfende Leiche in ihrem Kofferraum zu transportieren. Rachel hätte beinahe gelächelt.
»Auf wen ist es zugelassen?«, fragte Madeleine.
»Die Nummernschilder sind französisch. Bestimmt geklaut. Ich erinnere mich, dass er von einer seiner so genannten Geschäftsreisen damit zurückkam. Er hatte zwei Mädchen dabei. Dürfte eine nette Überfahrt für ihn gewesen sein, zu dritt in einer Kabine.«
Madeleine schwieg einen Augenblick, die Augenbrauen zusammengezogen. »Kannst du Auto fahren?«
»Ich habe keinen Führerschein, wenn du das meinst. Mein Vater ist immer mit mir gefahren, aber ich habe seit Jahren nicht mehr hinter dem Steuer gesessen. Du fährst sehr viel besser als ich. Es wäre keine gute Idee, mich fahren zu lassen.«
»Machen wir einen Spaziergang.« Madeleine stand auf. »Suchen wir das Auto.«
Es war eine gute Weile nach Mitternacht, als Toms Fernseher endlich ausging, und fünfzehn Minuten später erlosch auch das Licht in seinem Schlafzimmer.
Madeleine beobachtete sein Haus vom Fenster aus. »Es ist so weit. Bringen wir die Sache hinter uns.«
Sie ging Antons Auto holen, während ihre Tochter sich in der Garage zu schaffen machte. Als Rachel ein Motorengeräusch in der Auffahrt hörte, schob sie das Rolltor hoch. Es glitt erstaunlich leicht nach oben, und Madeleine fuhr das Auto rückwärts in die Garage. Sie lauschten, ob sich Fahrzeuge oder Leute näherten, aber es goss in Strömen, und in der Nachbarschaft schien man zur Ruhe gegangen zu sein.
Sie machten kein Licht, obwohl sie in der Dunkelheit kaum die Hand vor Augen sehen konnten. Zögernd näherten sie sich der Leiche. Sie ergriffen die Plastikfolie und wollten das Bündel darin zum Auto ziehen. Ihre Hände waren jedoch so schweißnass, dass sie nicht
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