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Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Titel: Erbschuld: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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das ihn in Schwierigkeiten bringen konnte. Er musste mit seinen Wetten auf Pferderennen eine Glückssträhne gehabt haben. Das musste es sein. Der alte Mann hatte Sascha für das klügste Kind der Welt gehalten und gemeint, er solle die Universität besuchen. Und wenn sie das Geld nicht anrührte, würde er vielleicht auch einmal auf eine gehen können. Aber sie rührte es ja bereits an! Das Geld floss davon wie das Meer bei Ebbe. Hatte man keins mehr, versiegte alles, Lebensnotwendigkeiten wie Milch mit eingeschlossen; ganz zu schweigen von Wein, Whisky und dem Strom der Schmiermittel des Lebens. Doch Geld oder sein Mangel war nicht das Problem. Sie wusste, dass ihr Leben niemals in geordneten Bahnen verlaufen würde, wenn es ihr nicht gelang, von Anton loszukommen. So sehr sie Sascha vor Schaden bewahren wollte, Geld selbst bot keine Sicherheit. Von einer wirklichen Gefahr konnte man sich nicht loskaufen.
    Ein tiefes Summen, und die Maschine spuckte die Geldscheine aus. Rachel zog ihre Handschuhe aus, um sie zu zählen. Der Tag war kalt, ungewöhnlich kalt für den Frühling. Ihre Nägel sahen durchsichtig aus, wie Eis. Sie hatte sehr lange Finger, und das Blut zirkulierte zu langsam. Das kam vom Rauchen. Es versaute einem die Durchblutung.
    Das Mädchen, welches das Obdachlosenmagazin The Big Issue verkaufte, stand strategisch gut positioniert neben dem Geldautomaten. Rachel versuchte, an ihr vorbei zu sehen, aber das war schwierig. Vor ein paar Wochen waren sie ins Gespräch gekommen, und seither nickte das Mädchen ihr jedes Mal lächelnd zu. Es war einer jener Tage gewesen, an dem sich Rachel schon seit Ewigkeiten mit keinem anderen Erwachsenen mehr unterhalten hatte. Nicht wirklich unterhalten. Das Mädchen hatte ihr erzählt, dass ihre Eltern ständig an ihr rumgenörgelt hätten und sie deshalb von zu Hause fortgelaufen sei. Sie sei aber alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Rachel hatte überlegt, ob sie ihr erzählen sollte, dass sie als Teenager nach London ausgebüchst war und dass sich dies als fataler Schritt erwiesen hatte, Sie suchte noch nach den richtigen Worten, als das Mädchen sie auf ihren Schafsfellmantel ansprach. Sie glaube, ihn im Schaufenster bei Oxfam gesehen zu haben. Ihr war offensichtlich nicht bewusst, dass man so etwas nicht sagte. Außerdem lag sie völlig daneben, der Mantel stammte nicht aus einem Wohltätigkeitsladen, sondern Anton hatte ihn ihr geschenkt. Er war damals teuer gewesen. Sie hatten gut fünf Minuten miteinander geredet, was unter den gegebenen Umständen ziemlich lange war. Die Kleine hatte Rachel auch erzählt, dass sie oft im Freien übernachtete. Das hatte Rachel selbst nie getan, aber es hatte nicht mehr viel gefehlt.
    »Hallo mal wieder.« Das Mädchen lächelte sie an. »Ein Big Issue?«
    »Hab ich schon.«
    Rachels Stimme klang schroffer als beabsichtigt. Ihre Augen waren auf einer Höhe mit den Händen des Mädchens, das ihm das Magazin zur Begutachtung entgegenhielt. Sie steckten in fingerlosen Handschuhen aus schwarzer Wolle, und die Nägel waren schmutzig. Irgendetwas an ihnen weckte Rachels Mitleid und ließ sie innehalten.
    »Na ja, vielleicht auch nicht.«
    »Das macht mir nichts«, versicherte das Mädchen. Sie lachte wissend und zog ein sauberes Exemplar aus dem Stapel unter ihrem Arm.
    Da geht es hin, dachte Rachel, während das Geld die Besitzerin wechselte. Zwei weniger, bleiben noch achtundneunzig. Und es war erst eine Minute vergangen. Wenn es mit dieser Geschwindigkeit weiterging, würde ihr Geld auf dem zwanzigminütigen Weg zur Praxis so gut wie weg sein. »Wie viele hast du denn noch?«
    Das Mädchen hob den Ellenbogen und blickte unter ihren Arm. »Ungefähr zehn.«
    »Willst wohl auch raus aus der Kälte?« Rachel musterte kurz ihr Gesicht. »Wie alt bist du?«
    »Achtzehn.« Der Blick des Mädchens veränderte sich, wurde zurückhaltender. »Alt genug.«
    Sie wirkte jünger mit ihrer Pudelmütze und ihren glatten rosigen Wangen und war es wahrscheinlich auch. Sie lebte auf der Straße, aber sie verkaufte etwas, wofür ihr die meisten Menschen widerwillig Respekt zollten.
    »Magst du Kinder?«
    »Klar«, antwortete das Mädchen. »Warum?«
    Rachel zögerte. »Ich habe einen kleinen Jungen. Eventuell könntest du den hüten. Ich … suche mir eine Stelle. Ich dachte an den einen oder anderen Abend.«
    Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Sie wissen ja, wo Sie mich finden.«
    Rachel grinste. Achtzehn und schon knallharter Zynismus.

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