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Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Titel: Erbschuld: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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wieder öffnete, marschierte sein Vater am Fenster entlang zum Haupteingang. Er konnte nur aus einem Grund da sein, nämlich um mit Mrs Eastwood im Sekretariat zu sprechen. Sie würde den Schulleiter Mr Bodell holen und ihm sagen, dass ein Mann gekommen war, der seinen Jungen zum Zahnarzt oder zu einer Verabredung mit seiner Großmutter oder zu sonst etwas in der Art bringen wollte.
    Das hatte er auch an der anderen Schule getan, und der dortige Schulleiter hatte Sascha aus seiner Klasse geholt und ins Sekretariat gebracht. Sascha war losgerannt und hatte »Daddy!« gerufen, und man hatte ihn gehen lassen. Er hatte seine Zweifel gehabt, dass sein Vater ihn noch einmal aus der Schule holen würde, weil Mum das letzte Mal einen Riesenaufstand gemacht hatte, vor allem, weil sie drei Tage lang nicht zurückgekommen waren. Mum hatte geweint, ihre Augen waren verquollen, aber sie war dennoch außer sich vor Zorn gewesen.
    Eines Tages würde sein Daddy ihn mit in die Ukraine nehmen, wo seine gesamte Familie lebte. Dort würde er Dinge tun können, die in England nicht möglich waren, beispielsweise auf einem zugefrorenen See Schlittschuh laufen oder Speisen essen, die er noch nie probiert hatte, und sie würden Napoleon mitnehmen. Als Miss Bailey ihnen vor ein paar Tagen eine Weltkarte gezeigt hatte, wollte er wissen, wo die Ukraine lag. Sie sah groß aus, auf jeden Fall größer als England. »Dein Dad ist also gekommen, um wie die Made im Speck zu leben, Sascha?«, hatte Miss Bailey gesagt, aber er hatte nicht verstanden, was sie damit meinte.
    Die Minuten verstrichen, und Sascha nagte und nagte. Sein Daumen begann zu bluten. Er schob ihn in den Mund und saugte daran, um den Blutfluss zu stoppen. Miss Bailey rief etwas, und plötzlich bemerkte er, dass sich die anderen Kinder zu ihm umgedreht hatten und ihn anstarrten. Roddy lachte.
    »Sascha nuckelt am Daumen, um gleich einzuschlafen«, tadelte Miss Bailey ihn. Ihre Stimme klang sanft, aber er vernahm die unterschwellige Bosheit.
    »Baby!«, rief Roddy höhnisch und nuckelte geräuschvoll und mit schielenden Augen an seinem eigenen Daumen.
    Sascha riss den Daumen aus dem Mund. »Fick dich ins Knie«, schrie er.
    Die ganze Klasse holte vor Schreck tief Luft. Alle blickten ihn mit aufgerissenen Augen an. Er schielte zu Miss Bailey hin. Sie betrachtete ihn entgeistert, als hätte sie ein Ungeheuer mit drei Köpfen vor sich. Ihr Mund stand offen, und ihr Kinn wurde wie eine Wurst gegen ihren Hals gepresst. Zu spät fiel ihm ein, dass Fluchen in dieser Schule verboten war und niemand, noch nicht einmal Roddy oder die älteren Schüler, gegen diese Regel verstieß. Es war nicht wie in London.
    Die Luft vibrierte, und Sascha lief eine Gänsehaut über den Rücken. In der angespannten Stille war laut das Zwitschern der Vögel zu hören. Er drehte den Kopf zum Fenster und sah wieder Daddys Auto.
    Ein Ruck ging durch ihn hindurch. Sein Stuhl kippte krachend zu Boden. Wie ein geölter Blitz schlängelte er sich zwischen den Tischen durch. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass Miss Bailey auf ihn zukam. Sie streckte wie in Zeitlupe die Arme nach ihm aus, und ihr Mund begann ein Wort zu bilden. Ein Schrei entrang sich gurgelnd ihrer Kehle, aber er hatte schon die Tür aufgerissen und flitzte den Korridor hinunter. Als er um die Ecke zum Haupteingang schlidderte, rannte er direkt in seinen Vater.
    Im Auto schlugen sie die Türen zu, und Daddy drückte auf einen Knopf. Alle Schlösser wurden gleichzeitig verriegelt. Noch nie hatte Sascha ein so sattes Geräusch gehört. Er sah Miss Bailey, Mrs Eastwood und Mr Bodell aus der Tür stürzen und stehen bleiben. Sie starrten zu ihnen herüber, aber sie kamen nicht näher. Mr Bodell schüttelte den Kopf. Sascha kniete sich auf den Sitz, presste sein Gesicht an die Scheibe und streckte ihnen die Zunge heraus. Lachend drehte Daddy den Zündschlüssel um. Das Auto brummte, und die Klimaanlage blies kalte Luft über Saschas nackte Beine. Das Letzte, was er sah, als sich das Auto in Bewegung setzte, war Mr Bodell, der sich ärgerlich umdrehte und zurück in die Schule eilte. Erst jetzt kam Sascha der Gedanke, dass er möglicherweise in die Schule würde zurückkommen müssen.
    »Das ist mein Sohn«, rief Daddy und lachte schallend. »Führt jetzt schon ein gefährliches Leben.«
    Die Sonne kam von hinten. Rachel schirmte ihr Gesicht mit den Händen ab und starrte auf den Bildschirm des Geldautomaten. Sie wartete darauf, dass ihr Kontostand

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