Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
recht, wo er als Nächstes sein würde. Es tut mir leid, dass ich es nicht geschafft habe, die Briefe zurückzuschicken. Sie können sie jetzt haben, wenn Sie wollen. Sie liegen in einer Schachtel im Büro.«
Madeleines Hoffnung schwand. »Also hat er nie gefragt … Er wollte nicht wissen, was in ihnen stand?«
»Ich würde seine Post nicht öffnen. – Nein, er hat nie gefragt.«
»Er ist jetzt seit achtzehn Monaten fort.« Sie bemühte sich, beiläufig zu klingen, obwohl sie dem Weinen nahe war. »Plant er nicht heimzukommen?«
Sam Serota zuckte mit den Schultern. »Diese Frage kann ich wirklich nicht beantworten. Ich vermute, dass ihn die Garnelenfischerei nicht mehr interessiert. Sein Horizont hat sich erweitert. Ich wollte ihm das Boot vermachen, aber allein habe ich es nicht mehr betreiben können. Habe Arthritis im Knie, wissen Sie, und mir überlegt, ich könnte jetzt erst mal meine Pläne ohne ihn machen.«
Er wirkte schuldbewusst, als er das sagte. Hatte Forrest ihr gegenüber nicht erwähnt, dass er zurückkommen würde, um hundert Jahre lang Garnelen zu fangen?
»Wo steckt er denn?«
Mr Serota sah aufs Meer hinaus. »Wo genau er im Augenblick ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Das letzte Mal, als er mich anrief, unterrichtete er an einer Schule in … Verdammt, ich kann mich nicht mehr an den Namen erinnern. Eine Kleinstadt in Indien. Er hatte vor, für ein oder zwei Monate in irgendeinen Aschram zu gehen. Und danach wollte er nach Tibet, obwohl er keine große Hoffnung hatte, ein Visum zu erhalten.«
Madeleine zog die sich lösende Farbe von der Armlehne ab. Die schöne Umgebung hatte irgendwie ihren Glanz verloren. Also wusste Forrest nichts, überhaupt nichts von dem, was geschehen war, von ihrer Schwangerschaft, Mikaelas Geburt. Er wusste nicht, dass er eine Tochter hatte. Und offenbar wusste auch sein Vater nichts davon. Sie überlegte, ob sie es ihm sagen sollte.
»Ich habe während der vergangenen eineinhalb Jahre oft an ihn gedacht. Er hat mir wirklich gefehlt. Und es gibt etwas, das ich ihm sagen muss.«
Mr Serota zog noch eine Bierflasche hervor und nahm einen kräftigen Schluck. Er kratzte sich am Bart. Seine Hände waren so groß wie die von Forrest, aber mit schrecklichen Narben bedeckt.
»Ich würde ihm nicht nachfahren, Madeleine, falls Sie daran gedacht haben sollten. Ich glaube, da gibt es jemanden, ein kanadisches Mädchen. Sie leben seit einer Weile zusammen. Sie ist diejenige, die unbedingt in einen Aschram will. Ihn langweilt es bestimmt ohne Ende, von morgens bis abends zu fasten und zu singen.«
Da hatte sie ihre Antwort. Sein Leben war weitergegangen. Natürlich war es das.
»Würden Sie mich erwähnen, wenn er sich meldet?« Sie zögerte. »Sagen Sie ihm, dass ich England für immer verlassen habe und wieder in Key West bin. Dasselbe Haus, dieselbe Telefonnummer.«
Er sah sie an. »Meinen Sie nicht, dass Sie ihn am besten in Ruhe lassen sollten? Eines Tages ist er bestimmt wieder da, und dann können Sie selbst mit ihm reden.«
Sie trank ihr Bier aus und stand auf. Als sie über den Stegrand sah, waren die Leguane fort.
»Sehen Sie, Mr Serota. Sie sind verschwunden.«
»Ja«, erwiderte er leise und wies aufs Meer. »Dort schwimmt er.«
Sie folgte seinem vernarbten Finger mit den Augen, und der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie mit einem unerklärlichen Gefühl erzittern.
Den Bauch nach oben, trieb der eine Leguan auf den tanzenden Wellen hinaus aufs Meer.
10. Kapitel
S ascha blickte gerade aus dem Klassenzimmerfenster hinaus, als wie durch Zauberei Daddys Auto vorfuhr. Hinter dem schwarzen, in der Sonne glänzenden Dach tauchte Dads dunkler Kopf auf. Er schlug die Wagentür zu und verriegelte sie mit dem magischen Klickgerät in seiner Hand.
Eine Mischung aus freudiger Erregung, Besorgnis und Angst durchfuhr Sascha. Er hätte seine Gefühle nicht benennen können, kannte sie jedoch nur zu gut. Er kniff die Augen fest zu und drückte den Daumennagel an die Zähne. Es war nicht mehr viel von dem Nagel vorhanden, aber er hatte Mum versprochen, die übrigen in Ruhe zu lassen. Bestraf nur einen deiner Finger, hatte sie gesagt, und lass die anderen glücklich sein, dann ist nur der Daumen traurig, und die anderen neun Finger können ihn aufmuntern. Er nagte hartnäckig, um noch ein Stückchen Nagel zu erwischen, aber es tat nur noch weh. Ihm machte der Schmerz nichts aus, weil er andere Dinge überdeckte und sie weniger schrecklich wurden.
Als Sascha die Augen
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