Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
Gesundheitszustand schien sich wieder verschlechtert zu haben. Die Kleidung schlotterte ihm um den Leib, und er zeigte ein sonderbares Grinsen, bei dem seine Haifischzähne sichtbar wurden, als arbeiteten seine Gesichtsmuskeln nicht richtig. Es war ihm sichtlich peinlich, und er wirkte lethargisch und finster.
Madeleine war erleichtert, Bath und allem, was dazugehörte, den Rücken zu kehren. Sie hatte sich jedoch mit John auf den Kompromiss geeinigt, dass es Angus vermutlich reichen würde, wenn sie eine Nacht bei ihnen blieb.
Am Samstag hatte sie sich über Colonel Saunders’ Ansinnen hinweggesetzt, ihre Mutter eine Weile nicht zu besuchen. Sie war mit Rosaria zum Flohmarkt in Pillbury-on-Avon gefahren. Es war die einzige Art von Ausflug, die Mama inzwischen noch genoss, weil Flohmärkte sie an den Markt in ihrem Viertel in Havanna erinnerten. Allerdings hatte der nutzlose Trödel, der von heruntergekommenen Leuten auf wackeligen Tapeziertischen angeboten wurde, diesmal keinerlei Interesse bei ihr ausgelöst. Sie hatte sich an Madeleine geklammert und ständig von verkohlten Leichen, fleischfressenden Ameisen, finsteren Feinden und Erblindung geredet, Bedrohungen, die angeblich immer näher rückten.
»Dein Papa kann nicht sehen, Magdalena«, wiederholte sie mehrere Male. »Ich sehe durch seine Augen und kann nichts erkennen.«
»Papa Neville geht es gut«, versuchte Madeleine sie zu beruhigen.
Es war Neville nie besser gegangen. Seine Retrospektive in London hatte ihm ein Vermögen eingebracht. Die liebe Mama befand sich völlig im Irrtum. Falls ihre übersinnlichen Kräfte durch die Elektroschocks reaktiviert worden waren, nahm sie jetzt verzerrte Signale auf. Es waren keine Gefahren im Anzug und auch nicht der Tod, sondern es konnte sein, dass ihr verlorenes Kind wieder aufgetaucht war.
Nachdem sie ihre Mutter in den Speisesaal von Setton Hall zu rückgebracht hatte, damit sie dort ihr Mittagessen einnehmen konnte, durchsuchte Madeleine heimlich Rosarias Zimmer. Sie wollte Edmunds Brosche finden. Auf dem Altar bemerkte sie frische Anzeichen von Opferungen. Rosaria hatte sieben den Orischas geweihte Gläser Wasser hingestellt, jedes vor ein Abbild seiner christlichen Entsprechung. Wie bereits die nach Kuba verschleppten Sklaven versteckte sie ihre Götter hinter katholischen Heiligen, obwohl die Gesetze gegen die Religion der Yoruba längst abgeschafft waren. Vor Babalú-Ayé, dessen Stellvertreter der heilige Lazarus war, lag neben einer Tasse mit Rum eine große Zigarre. Da er der Gott der Krankheiten war, konnte er Mama geholfen haben, einen bösen Zauber auf den Mörder zu legen, der ihrer Tochter die üble Brosche geschenkt hatte.
Mit Nachdruck sagte sich Madeleine während ihrer Suche, dass sie keine Jüngerin der Santeria mehr sei, nicht mehr praktiziere und nicht länger an Zauberei glaube. Sie wolle die Brosche allein deshalb finden, weil sie ihr gefalle. Doch sie war nicht aufzufinden, weder auf dem Altar noch sonst wo. Sie musste wohl akzeptieren, dass sie verschwunden war.
Sie bog nach Westen auf die A30 ab. Da das herrliche Wetter anhielt, fuhr sie in eine Parkbucht, klappte das Faltdach von Nevilles altem Mercedes nach hinten, schlang sich einen Seidenschal um den Kopf und setzte sich ihre große Sonnenbrille vom vergangenen Jahr auf. An den Seitenstreifen wuchsen noch immer Frühlingsblumen, und die Zweige der Eichen und Buchen waren mit frischem grünem Laub bedeckt. Auf dem Beifahrersitz lagen ein riesiger Strauß Tulpen, deren Blüten noch geschlossen waren, eine Tragetasche aus der Spirituosenhandlung mit zwei Flaschen rosa Cava, eine große Tüte mit Bio-Pistazien, ein halber Räucherlachs und eine Schachtel teurer belgischer Pralinen von Marks. Wie war der Furcht erregende (und eifersüchtige) Angus sonst zu beeindrucken? Trotz der ambivalenten Gefühle, die sie gegenüber Johns Lebenspartner hegte, freute sie sich auf einen Tag in der Wildnis. Sie musste dringend in aller Ruhe darüber nachdenken, ob es noch etwas gab, das sie wegen Rachel unternehmen konnte, und sie hoffte, dass Angus ihr die Gelegenheit gab, kurz mit John unter vier Augen zu sprechen.
John hatte die mitten in Dartmoor gelegene Ruine vor fünf Jahren gekauft, weil er ein Hobby auf dem Land haben und an seinen Wochenenden etwas Konstruktiveres tun wollte als durch Antiquitätengeschäfte zu streifen und Dinge zu erwerben, für die er keinen Platz hatte. Das Cottage war nicht nur ein Restaurierungsprojekt gewesen,
Weitere Kostenlose Bücher