Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
Nun zum Ticket, Baby. Wo genau in Mexiko bist du?«
Das Gebäude am Rande von Bath hatte grüne Wände wie ein Krankenhaus, und es herrschte eine trostlose Atmosphäre. Regis Forbush, ein Mann Mitte fünfzig, der wie ein Landstreicher aussah, führte sie in einen Besprechungsraum und bat sie, an einem runden Tisch Platz zu nehmen. Seine gewählte Aussprache passte nicht zu seinem Äußeren. Seine langweilige braune Hose und die grüne Strickjacke sahen aus, als müssten sie dringend in die Reinigung. Sein dünn werdendes, fettiges Haar hatte er sich quer über den Schädel gekämmt.
»Wir leiden unter Jetlag, nicht wahr?«, bemerkte er mit einem teilnahmslosen Lächeln. »Nett von Ihnen, Ihren Urlaub abzubrechen. Sie waren in Mexiko?«
»Ich bin gekommen, um meine Tochter abzuholen, Mr Forbush. Ist sie …«
»Hören Sie, Miss Frank«, unterbrach er sie, und sein Lächeln verschwand schlagartig aus seinem Gesicht. »Es stimmt doch wohl, dass nicht Sie sich um Ihre Tochter gekümmert haben? Und zwar seit … vier Jahren? Und dass Sie sie das letzte Mal vor einem Jahr gesehen haben?«
Madeleine wollte zu einer Erklärung ansetzen, aber Regis Forbush ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Nach diesen Unterlagen, die hier vor mir liegen«, er schlug mit der Hand auf eine dicke Akte aus Manilapapier, »wurde ein Antrag auf eine offizielle Adoption der kleinen Mikaela gestellt. Sie hatten also bereits vor, Ihre Tochter von Ihrer Mutter Rosaria Frank adoptieren zu lassen. Ist das nicht so?«
»Sozusagen«, bestätigte Madeleine unglücklich.
Mr Forbush hob eine Augenbraue. »Sozusagen?«
Madeleine wand sich. Es klang so schief. »Meine Mom hat Mikaela von Anfang an unbedingt adoptieren wollen. Sie hat mir immer wieder versichert, dass ich sie nicht wirklich weggeben würde, sondern dass wir immer noch eine Familie wären, wenn sie die Mutterstelle übernähme. Mikaela glaubt, dass ich ihre Schwester bin. Sie nennt meine Mutter Mama, ebenso wie ich. Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich meiner Mom gegenüber nicht fair gewesen bin. Sie hat mich ungefähr fünf Jahre lang bedrängt, seit Mikaelas Geburt. Ich hatte keine Ahnung, dass sie depressiv ist.«
»Es handelt sich um mehr als eine Depression, Miss Frank-Madeleine, wenn Sie nichts dagegen haben, dass ich Sie so nenne. Bei Ihrer Mutter wurde eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Sie hat sich wahrscheinlich schon seit Jahren in diesem Zustand befunden.«
»Paranoide Schizophrenie?«, wiederholte Madeleine verblüfft. Das klang furchtbar. Sie wusste, dass es sich dabei um eine Geisteskrankheit handelte, aber war das nicht etwas, das mordlustige Verrückte hatten? Wahnsinnige, die herumliefen und die Leute mit Messern aufschlitzten oder in Schulen einbrachen und Kinder erschossen?
»Das muss ein Irrtum sein, Mr Forbush«, brauste sie auf. »Meine Mom hatte wegen der Scheidung und all dem einen Nervenzusammenbruch. Es ist nicht so etwas wie eine paranoide Dingsda. Meine Mom ist ein ungewöhnlicher Mensch. Sie ist eine Santera, eine weise Frau. Die Leute hier verstehen nicht, was das bedeutet. Sie denken, dass es sich um eine Art Hokuspokus handelt. Es ist ein Vorurteil, sonst nichts.«
»Die ärztlichen Befunde dürften wohl zuverlässig sein. Ihr Vater hat führende Psychiater hinzugezogen, um Ihrer Mutter zu helfen … Sie sehen also, dass der Adoption auf gar keinen Fall stattgegeben worden wäre.«
»Mein Vater!«, grollte Madeleine. »Was zum Teufel weiß der schon?«
Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl herum. Als sie in England angekommen war, saß Neville bereits im Flugzeug nach Tokio. Sie hatte schon eine ganze Weile den Verdacht gehabt, dass er Mama und Micki nur selten besuchte. Er war völlig von Elizabeth, seiner neuen Frau, und ihrer eleganten Wohnung in London in Anspruch genommen. Für Mama hatte er ein altes Ehepaar angestellt, das sich um Haus und Garten kümmern sollte. Sie waren auf einem Campingurlaub in Schottland gewesen, als Mama den Nervenzusammenbruch hatte.
Anfangs waren Madeleines Gefühle gegenüber Elizabeth von Groll bestimmt gewesen, doch nun räumte sie ein, dass Elizabeth eine recht nette Frau war, völlig anders als Mama und erheblich jünger. Es war anständig von ihr gewesen, Madeleines Ankunft abzuwarten und erst dann Neville nach Tokio zu folgen. Heute Morgen, als Madeleine von London mit dem Zug nach Bath gefahren war, hatte sie ihr einen Rock geliehen, der natürlich viel zu weit für sie war, und dazu eine
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